Der schwarze Prinz
dass dies nicht der richtige Moment war. Aber wann war für so etwas der richtige Moment? Seit ihrem Duell mit Laurin wartete sie darauf, dass Hagen ihr seine Gefühle für sie offenbarte, aber ständig gab es irgendetwas Wichtiges zu tun oder zu erledigen, und er schien einfach keine passende Gelegenheit zu finden. Das war der Moment, in dem sie sich vornahm - entgegen ihrer früheren Entscheidung das Ruder doch selbst in die Hand zu nehmen. Sobald sie von ihrer Mission zurückgekehrt war.
»Mach ich«, versprach sie - ihm und sich selbst. Die Aussicht, ihm endlich ihre Liebe zu gestehen, gepaart mit der Zuversicht, dass er sie erwiderte, erfüllte sie plötzlich mit großer Freude, und sie ließ den Helikopter rasch vom Boden abheben und in die Höhe steigen. Je eher sie zurückkehrte, umso eher konnten sie und Hagen endlich zu dem werden, was Svenya sich am sehnlichsten wünschte: ein Paar.
Der Gedanke zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen, und sie gab Gas. Schnell gewann der Helikopter an Geschwindigkeit, als er über das schlafende Dresden hinwegraste. Mit etwas Glück bin ich noch vor Sonnenaufgang wieder hier , dachte sie.
Sie hatte ja keine Ahnung!
8
Rügen
Weniger als anderthalb Stunden und etwa vierhundert Kilometer im Tiefflug zurückgelegter Luftlinie später landete Svenya ihren Helikopter unsichtbar auf dem Scheitel der Kreideklippen. Sie schaltete den Motor und sämtliche Lichter ab, löste das Kabel von ihrer Tarnung und schmunzelte bei dem Gedanken, wie viele Nachtschwärmer auf dem Weg die aus dem scheinbaren Nichts erstrahlenden Lichter wohl für ein UFO gehalten hatten. Wie viele Berichte über angebliche Aliens hatten wohl in Wirklichkeit ihren Ursprung bei den Elben? Oder bei anderen Wesen und Kreaturen der übrigen acht der Neun Welten. Ja, im Grunde genommen waren sie hier auf Midgard ja auch alle Aliens, zumal selbst Alberich nicht sagen konnte, ob die anderen acht Welten lediglich in anderen Dimensionen lagen oder in Wahrheit an verschiedenen Orten des Universums - durch Portale wie das Albbrü-Tor oder die sagenhafte Regenbogenbrücke Bifröst miteinander verbunden.
Svenya stieg aus dem Hubschrauber, hob den Kopf und schaute zu den Sternen empor. Hier, weitab von den Lichtern einer Großstadt wie Dresden, waren so viele mehr von ihnen zu sehen, und der überwältigende Anblick ließ sie sich klein und unwichtig fühlen. Lagen ihre eigenen Wurzeln vielleicht tatsächlich irgendwo da weit draußen? Kurz bevor ihr schwindlig wurde von der Aussicht und den vielen Fragen, die durch ihren Kopf tanzten, senkte Svenya den Blick wieder und schaute hinunter auf die See. Es war das allererste Mal, dass Svenya am Meer war, und dennoch fühlte es sich seltsam vertraut an, wie es in seiner schier endlosen Weite vor ihr lag, die Myriaden von Sternen spiegelte, als sei es selbst ein eigener Himmel, und sie dazu einzuladen schien, hineinzutauchen. Svenya war überrascht, wie sehr dieses Gefühl dem Gefühl nach Hause zu kommen glich. Waren das ihre Elbengene? Gene, die sich daran erinnerten, dass die Elben, wie manche behaupteten, ursprünglich aus dem Wasser stammten? Hagen hatte ihr erzählt, dass man sich sagte, der erste aller Lichtelben sei entstanden durch einen Sonnenstrahl, der sich im Wasser spiegelte, und das war eine
wunderschöne Vorstellung. Aber bei dem Anblick, der sich ihr heute Nacht bot, war es auch nicht schwer zu glauben, dass es genauso gut das Spiegelbild eines Sterns gewesen sein mochte.
Svenya roch das Salz und den Seetang in der Luft, und sie wurde sich bewusst, wie sehr sie sich nach der Berührung des Wassers sehnte. Sie holte die Karte hervor, die König Alberich ihr gegeben hatte, und verglich sie mit ihrem jetzigen Standort. Der Weg nach Vineta führte von hier aus ziemlich genau in Richtung Nordost, wo noch sehr viel weiter hinten die Insel Bornholm lag - die ursprüngliche Heimat der Burgunden, wie Svenya sich aus ihrem Geschichtsunterricht bei Raegnir erinnerte - und dahinter Gotland.
Sosehr sie wünschte, dass Yrr, Wargo, Raik oder Loga, aber vor allem Hagen jetzt bei ihr wären, so sehr genoss Svenya - als Mädchen, das in der Stadt groß geworden war - die Einsamkeit des Moments, die paradoxe Stille des Meeresrauschens, den leicht spür-, aber nicht hörbaren Wind und die Aromen, die er ihr zutrug. Ganz wie sonst nur in Hagens Nähe kehrte ein merkwürdig, aber willkommen wilder Friede in ihr Herz, und sie atmete noch einmal tief ein, ehe sie kopfüber von
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