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Der schwarze Prinz

Titel: Der schwarze Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Netty
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gebrauchte, war dem Elbischen, das man in der Festung sprach, sehr ähnlich, und Svenya verstand jedes Wort ... aber nicht deren Bedeutung.
    »Was meinst du?«, fragte sie ihn daher.
    Er zeigte um sich auf die anderen Bürger. »Man erzählt sich, jemand sei gekommen, um uns endlich zu holen. Bist du dieser Jemand?«
    Svenya wusste nicht, wie sie am besten darauf antworten sollte - denn noch immer hatte sie keine Ahnung, wovon der Junge sprach.
    »Möchtest du denn gerne geholt werden?«, fragte sie ihn daher vorsichtig.
    »Oh jaaaa«, sagte er, ohne auch nur einen Lidschlag lang zu zögern. »Oh ja! Wir sind schon so lange hier. So schrecklich lange. Die ganze Welt ist verschwunden, und es gibt nur noch uns.«
    Er seufzte tief - und Svenya brachte es nicht über sich, ihm zu erklären, dass nicht die Welt verschwunden war, sondern Vineta ... dass alles andere noch da war, nur die Stadt und ihre Bewohner nicht mehr.
    »Und Rans Töchter«, fügte er hinzu. »Sie leben in unseren Mauern, gehen durch die Straßen und strafen uns jede Nacht für unsere Sünden.« Dabei schaute er sich argwöhnisch um, so als erwartete er jeden Augenblick einen Angriff aus dem Hinterhalt. »Sie quälen uns, aber sie lassen uns nicht sterben.«
    Trotz all der seltsamen Dinge um sie herum, stieg Zorn in Svenya auf. Ran hatte die Stadt nicht nur vernichtet, sie ließ die Bewohner seit damals auch noch Nacht für Nacht von ihren Töchtern quälen? Unwillkürlich griff sie mit der Rechten nach ihrer Klinge. Alberich hatte sie ermahnt, das Schwert Wielands am besten unbemerkt zu stehlen, aber ein Blick in die Augen des kleinen Jungen, die erfüllt waren von der Furcht vor den Ranen und zugleich von der Hoffnung auf Erlösung von der ewigen Qual, warf diesen Plan binnen eines einzigen Herzschlags über den Haufen.
    Svenya war die Hüterin Midgards. Ihre Aufgabe war es, die Menschen vor den Kreaturen der Schattenwelten zu schützen. Dass diese Menschen schon seit Jahrhunderten tot waren und nur noch als Geister existierten, änderte daran nicht das Geringste. So es in ihrer Macht stand, würde sie nicht zulassen, dass sie weiterhin gemartert wurden. Und um herauszufinden, ob es in ihrer Macht stand, musste sie sich den Töchtern der Ran stellen.
    »Wie heißt du, mein Junge?«, fragte sie ihn.
    »Finn«, antwortete er.
    »Also, Finn«, sagte sie. »Hör gut zu. Ich weiß nicht, ob ich euch von hier fortbringen kann. Aber ich werde euch von Räns Töchtern
    befreien. Das schwöre ich, Sven’Ya SvartrÄlp, so wahr ich die Hüterin Midgards bin.«
    Auch wenn sie damit von dem ursprünglichen Plan abwich - das Leben, das in dem Moment, in dem sie diese Worte sprach, in die Augen des Jungen zurückkehrte und das Lächeln auf seinen blassen Lippen waren alles, was es brauchte, für ihn und die Seinen in die Schlacht zu ziehen.

 
10
    Svenya schwamm in die Höhe, um über die Dächer der versunkenen Stadt hinweg in direkter Linie auf den Tempel der Rän zuzusteuern. Noch immer hatte sie keine Erklärung für die tintenschwarze Wolke, die darüber schwebte und in der rote und blaue Blitze auf gespenstische Weise geräuschlos gewitterten. Nur die Glocken waren zu hören. Svenya passierte auf ihrem Weg ein großes Gebäude, das über und über mit Gold beschichtet, aber auch das einzige war, das in Trümmern lag. Es war nicht schwer zu erraten, dass es sich hierbei wohl um den Tempel für Odin und Thor handelte. Wo waren sie jetzt, diese beiden Götter, um Vinetas Bürger aus einer Lage zu befreien, die sie allein dem Umstand verdankten, dass sie ihnen gehuldigt hatten?
    Svenya näherte sich der wabernden Wolke und fragte sich, was wohl die beste Taktik sei - direkt und schnell hinein oder eher vorsichtig, um erst einmal die Lage zu sondieren? Sie aktivierte Hagens Doppelklingenspeer und untersuchte den äußeren Bereich der Wolke. Dabei fiel ihr auf, dass es immer weniger der roten Blitze hagelte und schließlich fast nur noch blaue. Was hatte das zu bedeuten?
    Svenya materialisierte ihren Panzer, tauchte in die Schwärze hinein und war wenig überrascht, dass sie darin nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Aber auch hier verließ ihr Orientierungssinn sie nicht - sie erspürte den Weg zum Tempel der Ran. Die Blitze, die genau von dort zu kommen schienen, waren noch seltener geworden, und sie spendeten auch kein brauchbares Licht - sie gaben dem Schwarz um sie herum nur je eine rote oder blaue Schattierung. Dann plötzlich versiegte der Glockenklang -

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