Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der schwarze Prinz

Titel: Der schwarze Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Netty
Vom Netzwerk:
näher schleichend.
    Svenya spürte wieder die Krämpfe in ihren Gliedern, die Schnitte in ihren Händen und den Schmerz in ihrer Seite. Letzterer wuchs an und wurde schließlich so stark, dass ihr schwindlig davon wurde und es ihr die Tränen in die Augen trieb. Durch den nassen Schleier hindurch sah sie, wie es um sie herum wieder heller wurde. Wieder war da Gold, wie auch eben schon, aber es war weniger strahlend ... getrübt ... schlierenhaft verzerrt ... durch mehr Wasser als nur das der eigenen Tränen.
    Svenya erkannte, dass sie wieder im zertrümmerten Tempel von Odin und Thor war. Sie lag auf dem Boden ... aus ihrer linken Seite schwebte eine dicke Wolke ihres eigenen Blutes in die Höhe ... und sie fühlte sich beobachtet... die Bedrohung wurde immer greifbarer. Ihre Instinkte aber sagten ihr, dass die Angreiferin weg war ... sie hier liegen gelassen hatte. Svenya biss die Zähne so fest zusammen, dass sie Angst hatte, sie würden von dem Druck zerbrechen, und richtete sich trotz der Schmerzen schwerfällig auf. Da sah sie sie!
    Die Bürger Vinetas!
    Sie standen in einem weiten Kreis um sie herum und starrten sie hasserfüllt an. Sie alle waren bewaffnet. Sie trugen Fischspeere und Äxte, Küchenmesser und Schwerter, Knüppel und Fleischerbeile.
    Einer trat aus ihrem Ring hervor - es war Finn, der Junge in Sackleinen. Er hatte ein dünnes, rostiges Messer zum Ausnehmen von Fischen in der Hand. Seine Augen funkelten vor verzweifelter Wut, und er hatte die Kiefer fest zusammengepresst.
    »Du hast unsere Chance auf Erlösung zerstört«, sagte er, und weil er dabei den grimmig geschlossenen Mund kaum öffnete, klangen seine Worte wie das Zischen einer angreifenden Schlange. »Und dafür wirst du jetzt bezahlen!«

13
    Der Ring um Svenya herum wurde immer enger, je näher die geisterhaften Bewohner der versunkenen Stadt auf sie zuschritten ... ihre Waffen zum Schlag erhoben ... um sie zu bestrafen für etwas, das sie nicht verstand. Die Töchter der Ran waren allesamt tot - und dass Svenya sie nicht getötet hatte, änderte nichts daran, dass für die Vinetaner die Zeit der endlosen Qual vorüber war. Warum also waren sie so voller Hass?
    Svenyas einziger Ausweg war nach oben - bis jetzt hatte sie noch keine Anzeichen dafür gesehen, dass die Geister schwimmen konnten. Sie bewegten sich am Meeresboden, wie sie es zu ihren Lebzeiten auch an Land getan hatten. Aber Svenya war viel zu schwer verletzt, um davonzuschwimmen. Sie versuchte, zu schweben, doch darin war sie zu wenig geübt, um angesichts der sich immer schneller nähernden Gefahr und der in ihr aufsteigenden Furcht den dazu nötigen mentalen Fokus auf ihr Inneres aufzubauen. Sie versuchte es dennoch:
     
    Ki-za Me-Lam
    Su-ub nag ama-argi
    Zig sur si-i-tum.
     
    Ich verneige mich vor der Kraft, die ist und immer war,
    Nehme sie in mich auf und trinke aus ihr die Freiheit,
    Mich zu erheben und die Schwere hinter mir zu lassen.
     
    Nichts! Sie blieb hilf- und regungslos am Boden des seit Jahrhunderten zerstörten Tempels liegen, während Finn mit seinem rostigen Fischmesser immer näher kam - Mordlust im Blick und dicht gefolgt von den anderen Vergessenen.
    »Was habe ich euch denn getan, dass ich den Tod verdiene?«, rief Svenya dem Jungen entgegen. Doch der antwortete nicht. Mit vor Schmerz zittrigen Fingern löste sie den Stab von ihrem Gürtel. Doch sie konnte ihn kaum halten, und ehe sie ihn überhaupt zum Speer formen konnte, fiel er ihr aus den Händen und rollte von ihr fort zu den Füßen des kindlichen Gespenstes.
    »Finn! Die Töchter der Ran sind tot!«, versuchte sie einen anderen Ansatz. »Sie werden euch nicht mehr quälen. Ihr seid endlich frei!«
    Finn stieß ein kurzes und höhnisches Lachen aus. »Was weißt du schon von Freiheit?«
    Svenya wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
    »Hast du denn überhaupt eine Vorstellung davon, wie es ist, Jahrhunderte nur so vor sich hin zu vegetieren?«, fragte der Junge. »Nicht nur, dass die ganze Welt verschwunden ist - auch sonst haben sie uns alles genommen. Versuche, dir den schlimmsten Durst vorzustellen, den du jemals hattest.«
    Das fiel Svenya nicht schwer - es war noch gar nicht so lange her, dass sie den erlebt hatte.
    »Und jetzt stell dir vor, nichts, was du trinkst, kann diesen Durst löschen!« Er machte eine ausladende Geste um sich herum. »In dieser verfluchten Stadt befinden sich Tausende Fässer Wein, Bier und Met - und nichts davon vermag unsere Lippen, unsere Zungen und

Weitere Kostenlose Bücher