Der schwarze Prinz
ihrem Giftdorn anbringen konnte. Sie begann, einen Bogen um Svenya zu schwimmen. Unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte und mörderischen Schmerzen drehte Svenya sich zu ihr herum.
So gut sie konnte, ignorierte sie ihre aufsteigende Angst und konzentrierte sich. Anders als bei dem Angriff des Geisterjungen fiel ihr das diesmal leicht. Vielleicht lag es daran, dass sie bei dem Jungen zu aufgewühlt gewesen war, weil sie einfach nicht glauben wollte, dass er bereit war, sie zu töten. Bei Lau’Ley jedoch zweifelte sie keine Sekunde daran. Das machte ihre Angst zwar finaler, doch damit auch gelassener ... weil sie keinen Ausweg mehr sah, nur noch ein Aufschieben des Unausweichlichen.
Herz und Atem und die Melodie in Svenyas Kopf erreichten den gleichen langsamen Takt.
Ki-za Me-Lam
Su-ub nag ama-argi
Mud usu sen.
Ich verneige mich vor der Kraft, die ist und immer war,
Nehme sie in mich auf und trinke aus ihr die Freiheit,
Die Stärke meines Schildes wachsen zu lassen.
Es war, mit Ausnahme der letzten Zeile, der gleiche Zauber, mit dem sie auch schweben konnte. Mit den ersten beiden Versen bündelte sie die Magie aus all der Energie um sich herum, und der letzte bestimmte, was sie mit dieser Kraft tat: Sie leitete sie in ihren Panzer ... und hoffte inständig, dass er halten würde. Womit sie nicht gerechnet hatte: Die Energie hier draußen im Meer hatte einen sehr viel höheren magischen Anteil, als sie es vom Land her gewohnt war, und strömte mit einer ähnlichen Heftigkeit in sie hinein, wie vorhin die blauen Blitze der Unbekannten. Svenya biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien, und lenkte die Macht in ihren unsichtbaren Schild.
Gerade noch rechtzeitig.
Schnell wie ein Pfeil schoss Lau’Ley erneut auf sie zu ... und kreischte wild auf, als ihr Fingerdorn an Svenyas Panzer zersplitterte und sie vom eigenen Schwung mit dem Gesicht voran gegen Svenyas Brust krachte. Svenya reagierte mehr instinktiv als überlegt und schlang trotz ihrer Schmerzen blitzartig Arme und Beine um die Sirene. Sie hatte sich daran erinnert, wie sie als Gefangene Gerulfs ihre Ketten von innen heraus gesprengt hatte, indem sie mit reiner Willenskraft ihren Panzer dazu gebracht hatte, sich auszudehnen. Wenn ihr das Gleiche jetzt, da ihr Panzer auch noch mit zusätzlicher Magie erfüllt war, gelang, konnte sie vielleicht Lau’Ley damit zerquetschen.
Sie rief:
»Ki-za Me-Lam
Su-ub nag ama-argi
Mud usu sen.«
Noch mehr der rohen Magie zuckte aus dem Wasser um sie herum in sie hinein und durch sie hindurch in ihren Schutzschild, der augenblicklich unter ihrem verzweifelten Willen zu wachsen begann.
Lau’Ley brüllte in einer Mischung aus Überraschung und Wut auf und wand sich in Svenyas Klammergriff wie ein angeschossener Aal.
Überall traten lange dünne Stacheln aus ihrer schuppigen Haut, doch sie zerbrachen sofort an Svenyas Panzer. Gleichzeitig aber spürte Svenya, wie ihr durch die Anstrengung, ihn wachsen zu lassen, schwindlig wurde, und der Panzer das, was er an Größe zunahm, an Dichte verlor. Sie würde sich beeilen müssen, der Sirene ein Ende zu bereiten, ehe sie das Bewusstsein verlor und der Schutzschild damit seine zusätzliche Energiequelle. Doch jemanden zu erschießen oder mit dem Schwert zu erschlagen, ist eine gänzlich andere Sache, als ihn mit den eigenen Gliedmaßen zu zerquetschen. Das Leben, das auszulöschen man im Begriff ist, ist so viel näher ... so viel deutlicher spürbar. Svenya konnte fühlen, wie Lau’Leys Herz vor Panik zu rasen begann und ihr das Blut immer schneller durch die rasch enger werdenden Adern pulste. Sie sah, wie sich Lau’Leys Augen durch den Druck, den sie auf ihren Leib ausübte, weiteten und langsam begannen, aus ihren Höhlen hervorzutreten.
Die Sirene kratzte mit ihren Fingernägeln nach Svenyas Gesicht und versuchte, ihre scharfen Zähne in den Hals der Hüterin zu schlagen. Doch noch hielt der Panzer stand.
Svenya musste sich überwinden, noch fester zu pressen, denn die immer panischer werdenden Bewegungen Lau’Leys und die verzweifelte Hilflosigkeit in ihrem Blick fingen an, ihr Mitleid zu schüren. Zugleich wusste sie, dass die Sirene zu töten die einzige Chance war, zu überleben. Wenn sie Lau’Ley jetzt freiließ, würde die weder die Barmherzigkeit dahinter erkennen noch das Mitleid erwidern, das Svenya fühlte. Sie würde so lange mit ihren giftigen Stacheln zustechen, bis schließlich einer von ihnen den Schutzschild durchdrang.
Weitere Kostenlose Bücher