Der schwarze Schattenjaeger
Haare ab und ein Mädchen schüttete ihren Saft auf mein Kleid. Ich sagte meiner Mom, dass ich gerne kürzere Haare haben wollte und mir aus Versehen den Saft auf das Kleid geschüttet hatte. Aber es passierte jeden Tag. Einmal war es so schlimm, dass meine Knie ganz blutig waren und die Lehrerin mitbekam, wie die Jungs mich schubsten.
Ich saß bei meiner Tante Abby im Café, die mir zusah, wie ich ein Bild malte.
„Das machst du aber schön, so ein tolles Bild“, jubelte sie. Ich wusste aber, dass es nicht besonders hübsch war. Es sah nicht so aus wie die Bilder in den Büchern, die ich so gerne ansah. Tante Abby streichelte mir immer wieder über meine Haare, die noch nicht nachgewachsen waren. Dabei wollte ich sie doch wachsen lassen. Bis zum Boden. Wie Rapunzel.
Mom kam nach über zwei Stunden zurück. Ich sah sofort, dass sie wütend war, sich jedoch bemühte zu lächeln.
„Die Kinder werden dich nicht mehr ärgern. Ab Montag gehst du in die Parallelklasse, na? Da bekommst du einen neuen Tisch und einen neuen Stuhl und viele neue Freunde.“ Ich nickte und lächelte. Mom sollte nicht wieder weinen. Dieses Mal würde sicher alles gut werden.
Die Monate und Jahre vergingen, aber ich wurde nie ein Teil der Klassengemeinschaft. Wenn es Ausflüge gab, wollte niemand neben mir sitzen, da sie mich so seltsam fanden. Ich war immer so still und habe kaum gesprochen, sondern lieber gelesen und beobachtet, anstatt über Puppen zu sprechen und Jungs doof zu finden. Ich mochte die meisten Jungs in meiner Klasse, auch wenn sie sehr wild waren. Ich war einfach fehl am Platz.
Ich wurde älter. Mit dreizehn hatte sich jeder daran gewöhnt, dass ich anders war. Zwar wurde ich noch immer ausgeschlossen und ignoriert, als gäbe es mich gar nicht, aber das war okay. Manchmal lachten sie noch über mich oder zogen mich auf. Doch ich konnte sie genauso gut ignorieren. Die Jungs begannen mich Prinzessin zu nennen, da sie mich wohl hübsch fanden. Ich bekam sogar einen Liebesbrief. Doch den nahm ich nicht ernst. Sicher machten sie sich nur wieder lustig über mich. Wenigstens konnte ich in den Pausen im Klassenraum bleiben und meine Bücher lesen. Es war wie die Flucht in eine weit entfernte Galaxie, eine unerreichbare Freiheit, die ich für wenige Augenblicke betrachten konnte.
Ich saß wie immer ganz hinten im Klassenraum und betrachtete das schöne Cover des neuen Buches, das ich mir von meinem Taschengeld gekauft hatte. Ich konnte es heute bereits vor der Schule kaufen, da wir erst zur zweiten Stunde kommen mussten. Es bei mir zu wissen, verlieh mir Kraft, diesen Schultag zu überstehen. Es war gerade Pause, aber die fiesen Mädchen in meiner Klasse hatten sich heute dazu entschlossen, ebenfalls in der Klasse zu bleiben, anstatt hinaus auf den Pausenhof zu gehen. Ein paar Jungs blieben ebenfalls drin. Der Schnee war diesen Winter besonders hartnäckig. Es gab einfach kein Entkommen. Ich fühlte mich wie in einer Schneekugel. Gefangen. Einsam. Ohne Aussicht auf ein Leben außerhalb meines schönen Gefängnisses. Da alle um mich herum darauf lauerten, dass ich etwas tat, worüber sie sich lustig machen konnten, las ich einfach interessiert in unserem Englischbuch. Bloß nicht auffallen war die Devise, dann wurde schon alles gut.
„Thalis?“, fragte eines der Mädchen. Patricia war ihr Name. Groß. Schlank. Rotes Haar und Sommersprossen. Sie sah eigentlich sehr niedlich aus und als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Doch Patricia war ein Biest. Hinterhältig und falsch wie die Königin aus Schneewittchen. Ich sah auf und glaubte für einen Moment, einen vergifteten Apfel in ihrer Hand zu erblicken, der sich jedoch als Tennisball herausstellte.
„Hast du eigentlich gute Reflexe?“, gackerte sie und schleuderte mir den Tennisball entgegen. Ich erschrak und sprang auf, da sie sehr gut zielen konnte. Der Tennisball traf mich direkt an der Schulter. Wäre ich nicht aufgesprungen, vielleicht hätte sie mein Gesicht erwischt.
„Au!“, schrie ich auf und prallte gegen die Wand, sackte zu Boden und hielt mir die schmerzende Schulter. Ich hörte, wie die Mädchen lachten und „Nein, du bist lahm wie ´ne Ente auf Krücken!“ riefen.
„Ey, das geht zu weit!“, mischte sich Florian ein, der sich zu Patricia gesellte, um ihr einen zweiten Tennisball aus der Hand zu nehmen.
Der Aufprall war sehr schmerzhaft. Am liebsten hätte ich den Tennisball genommen und ihn zurückgeworfen, aber das würde doch zu nichts führen.
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