Der schwarze Schattenjaeger
strafft und die Kutsche sich in Gang setzt.
„Du hältst wirklich eine Menge aus …“, flüstere ich, während mir der kalte Wind um die Nase weht. Die beiden Pferde, die vor die Kutsche gespannt sind, traben durch die Straßen. Das Tempo ist nicht sonderlich schnell, als würde man mit dem Fahrrad oder Auto fahren, aber der entgegenkommende Wind reicht aus, sodass ich meine Augen zusammenkneifen muss.
„Ist die Decke so okay?“, fragt Valom mich nach einigen Sekunden des Schweigens.
„Perfekt. Und nochmals … danke. Danke, dass du extra für mich hierher gefahren bist, um mich abzuholen. Heute Morgen habe ich einen Wolf gesehen, der mir gefolgt ist. Er hat mir zwar nichts getan, aber Onkel Roger meinte, dass mich Logan jetzt nach Hause bringen soll und … na ja, ich wollte das auf keinen Fall.“ Das ist wirklich eine schräge Zusammenfassung des Tagesgeschehens, aber Valom versteht sicher, warum ich ihn angerufen habe. Oder?
„Ein Wolf?“
„Ja. Ein schwarzer Wolf. Ich glaube, dass er schon die letzten Wochen um unser Haus herumgestromert ist. Onkel Roger ist Mounty und hat heute mit Logan Pfotenspuren rund um das Haus gefunden. Sogar welche von einem Bären! Dass sie so nah an Pemberton herankommen, habe ich bislang für ausgeschlossen gehalten.“ Valom schweigt für einen Moment, doch dann antwortet er mir endlich: „Den Bären hast du aber nicht gesehen?“
„Nein. Zum Glück nicht. Ich weiß, für dich sind das tolle Tiere, aber so ein Bär kann riesengroß werden und ich hätte überhaupt keine Chance gegen ihn. Ein Wolf wird nicht so groß. Obwohl dieser schwarze Wolf einen verdammt großen Eindruck gemacht hat.“ Ich seufze und glaube, dass Valom mich jetzt für vollkommen verrückt halten muss.
„Du musst keine Angst vor den Bären haben. Und überhaupt … ich bin für dich da. Es wird dir nichts passieren, das verspreche ich dir.“ Als er das sagt, lächelt er mich wieder mit dieser Mischung aus Freundlichkeit und Zuversicht an, die mir erscheint wie ein Stützpfeiler meines Lebens. Neben dem morschen und zerbrechlich wirkenden, der droht in sich zusammenzufallen, bildet er einen neuen Pfeiler. Mächtig. Aus Holz und mit hübschen Schnitzereien. Wie ein alter Baum, der bereits so alt ist, dass er tief mit der Erde verwurzelt ist.
„Du kannst mich ja nicht jeden Morgen zur Arbeit bringen und nachmittags wieder abholen.“ Ich schüttele den Kopf.
„Vielleicht kann ich solange bei Tante A…“ Ich spreche nicht weiter. Mom kann nicht mit. Wenn ich zu Tante Abby ziehen würde, dann müsste Mom ins Krankenhaus. Oder vielleicht sogar ins Hospiz. Das will ich auf keinen Fall! Sie hat ein Recht darauf, dort leben zu können, wo sie es will. Kaum sitze ich hier neben Valom und spreche ein paar Worte mit ihm, vergesse ich alles um mich herum. Sogar meine Mom. Sogar sie … Was ist nur los mit mir? Seit wann bin ich so egoistisch?
„Thalis?“, fragt Valom nach mir. Er klingt besorgt.
„Ich bin nur entsetzt darüber, wie egoistisch ich bin“, antworte ich und muss kurz auflachen, bevor ich mein Gesicht kopfschüttelnd hinter beiden Händen verberge.
„Egoistisch?“
„Ja. Kaum bin ich in deiner Nähe, kann ich nicht mehr klar denken. Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist“, platzt es aus mir heraus, ehe ich überhaupt weiß, was ich damit schon wieder angerichtet habe. Mist! Jetzt war mein Mund schon wieder schneller als meine Gedanken! Erst denken, Thalis! Dann reden!
„Oh Gott“, jammere ich und greife mir meine Tasche, damit sie nicht umfällt.
„Halt bitte sofort an!“, rufe ich nervös und rutsche dabei von Valom weg. Ich muss aussteigen. Sofort! Kann man sich noch mehr blamieren, als ich es gerade tue?
„Was ist denn passiert?“, fragt Valom irritiert, der die Zügel strafft und die Kutsche so zum Stehen bringt.
„E… es tut mir so leid! Ich wollte so etwas nicht sagen!“, stottere ich und versuche, von der Kutsche herunterzukommen. Aber Valom greift nach meinem Handgelenk. Sanft und bestimmt.
„Jetzt warte doch. Sag bloß, es ist dir unangenehm, dass du mich magst? Das ist es doch, warum du flüchten willst, oder?“
Mein Magen dreht sich um und ich erstarre, als er dies sagt. Ich überlasse ihm meine Hand und wehre mich nicht gegen seinen Griff, den er bereits lockert. Er hat es geschafft. Ich bleibe sitzen. Vorerst!
„Na ja, du hast mich nicht zurückgerufen, nachdem du mich geküsst hast, da dachte ich, dass … Ich weiß auch nicht!“
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