Der schwarze Schleier
grausige Tat im Bett begangen wurde und ihre Spuren nur zu deutlich sichtbar auch lange danach noch auf dem Kissenbezug hinterlassen hat.
Er hatte keines seiner Werke mit einer Überschrift versehen. Ach! Wie sollten seine Werke denn eine Kopfzeile haben, da er doch selbst so kopflos war, und wo war wohl sein Kopf gewesen, als er solche Dinge darin speicherte? In einigen Fällen, zum Beispiel, als er sie in die Stiefel steckte, scheint er seine Schriften absichtlich verborgen zu haben, was seinen Stil auch nicht verständlicher machte. Aber seine Stiefel waren wenigstens ein Paar, das zusammenpasste – und das kann man von nicht zweien seiner Schriften behaupten. Hier folgt nun (um nicht noch mehr Beispiele anzuführen), was ich in seinen Stiefeln und in dem Paket fand.
Kapitel 2
In seinen Stiefeln
»Ah, nun gut, Monsieur Mutuel! Was weiß ich, was kann ich sagen? Ich versichere Ihnen, er nennt sich Monsieur der Engländer.«
»Pardon, aber das halte ich für unmöglich«, erwiderte Monsieur Mutuel, ein bebrillter, schniefender, gebeugter alter Herr in gewirkten Pantoffeln und mit einer Stoffmütze mit einem Schirm, einem losen blauen Gehrock, der ihm bis zu den Knöcheln fiel, einem großen, schlapp fallenden Jabot und einem dazu passenden weißen Halstuch – das heißt, weiß war die natürliche Farbe seiner Leinenwäsche am Sonntag, im Laufe der Woche dunkelte sie etwas nach.
»Es ist«, wiederholte Monsieur Mutuel, und sein liebenswertes altes Walnussschalengesicht war außerordentlich walnussschalig, als er lächelte und in das strahlende Licht des Morgens blinzelte, »es ist, meine liebe Madame Bouclet, unmöglich, denke ich!«
»He!«, rief Madame Bouclet, eine gedrungene kleine Frau von ungefähr fünfunddreißig, mit einem kleinen ärgerlichen Aufschrei und sehr viel Kopfschütteln. »Aber es ist nicht unmöglich, dass Sie ein Schwein sind!«, versetzte sie dann. »Sehen Sie doch – sehen Sie hier, lesen Sie! ›Im zweiten Stock Monsieur L’Anglais.‹ Steht das nicht so da?«
»Ja, das steht so da«, antwortete Monsieur Mutuel.
»Gut! Dann setzen Sie Ihren Morgenspaziergang fort. Scheren Sie sich davon!« Madame Bouclet entließ ihn mit einem lebhaften Schnippen ihrer Finger.
Der Morgenspaziergang von Monsieur Mutuel führte ihn über den hellsten Flecken, den die Sonne auf der GrandePlace 9 einer langweiligen, alten französischen Festungsstadt malte. Er unternahm diesen Morgenspaziergang mit auf dem Rücken verschränkten Händen; einen Regenschirm, ein ausdrückliches Ebenbild seiner selbst, trug er stets in der einen Hand, eine Schnupftabakdose in der anderen. So sonnte sich der alte Herr mit dem schlurfenden Gang eines Elefanten (der nun wirklich den schlechtesten Hosenschneider hat, den man in der Tierwelt findet, und der ihn augenscheinlich Monsieur Mutuel weiterempfohlen hatte) täglich, wenn es denn Sonne gab, und natürlich sonnte er gleichzeitig auch das rote Ordensband 10 in seinem Knopfloch; denn war er nicht ein echter uralter Franzose?
Nachdem ihm ein Mitglied des engelgleichen Geschlechts gesagt hatte, er solle seinen Morgenspaziergang fortsetzen und sich davonscheren, lachte Monsieur Mutuel sein walnussschalenartiges Lachen, zog die Mütze mit der Hand, in der er seine Schnupftabaksdose hielt, vom Kopf und streckte sie auf Armeslänge von sich, ließ sie noch geraume Zeit, nachdem er sich von Madame Bouclet verabschiedet hatte, vom Kopf und setzte seinen Morgenspaziergang fort und scherte sich davon, ritterlich wie er nun einmal war.
Der dokumentarische Beweis, auf den Madame Bouclet Monsieur Mutuel verwiesen hatte, war die Liste ihrer Pensionsgäste, die ihr eigener Neffe und Buchhalter artig geschrieben hatte, der die Feder führte wie ein Engel, und die sie zur Information der Polizei neben ihr Eingangstor gehängt hatte: »Au second, M. L’Anglais, Propriétaire«. Im zweiten Stock, Monsieur der Engländer, Mann von Vermögen. So stand es da, nichts hätte schlichter sein können.
Madame Bouclet fuhr mit dem Zeigefinger die Linienach, sozusagen um ihr Fingerschnippen zum Abschied von Monsieur Mutuel zu unterstreichen und sich auf diese Weise zu beruhigen, und so stemmte sie nun mit trotziger Miene die Hand in die Hüfte, als könne sie nichts je in Versuchung bringen, dieses Fingerschnippen zu entschnippen, und spazierte hinaus auf den Platz, um zu den Fenstern von Monsieur dem Engländer hinaufzuschauen. Da dieser Ehrenmann zufällig gerade im gleichen Augenblick aus
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