Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
Fjorde, so heißen sie, nicht wahr? Über Trolle und Riesen, Zwerge und Alben. Die Leute in Hakarl haben davon erzählt, das ist eine dänische Siedlung an unserer Küste. Ihr Name bedeutet ›Hai‹, weil früher jemand einen besonders großen Hai gefangen hat. Die Menschen dort erzählen auch über tanzende Lichter am nächtlichen Himmel, die es in Eurer Heimat geben soll. Odins Feuer, so nennen sie es …«
»Ihr sprecht die Sprache der Nordmänner?«
»Das bleibt nicht aus, wenn so viele Dänen in der Nähe leben. Vor langer Zeit kamen sie als Wikinger, doch ihre Nachkommen sind eigentlich ganz harmlos und nicht anders als wir. Sie sind ständig auf Reisen und wollen handeln. Mit meinem Vater war ich oft in ihren Dörfern. Wir haben auch dänische Dienerinnen. Meine Zofe beispielsweise …«
Am Tor räusperte sich Órla. Caitlín entriss Njal die Hand, obwohl die kleine Nonne es sicherlich gesehen hatte.
»Ich gehe wohl besser, bevor die Äbtissin mich entdeckt«, murmelte sie, sprang auf und hastete aus dem Stall.
5.
D as heruntergebrannte Holz im Kamin knackte beruhigend. Caitlín setzte sich auf und angelte nach dem Wasserbecher, der unter ihrer Pritsche stand. Was hatte sie nur wieder für schreckliche Sachen geträumt? Der Wikinger – Njal – im Kampf gegen eine Übermacht. Nackt und nur mit einem Messer bewaffnet hatte er sich eines ganzen Schildwalls erwehren müssen. Die bunt bemalten Holzschilde hatten ihn eingeschlossen, die Krieger dahinter waren nur eine Masse dunkler Leiber gewesen.
Caitlín schüttelte sich. Das Wasser erfrischte sie und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Sie lauschte Hylds Schnarchen. Wie weit mochte die Nacht fortgeschritten sein?
Sie erhob sich, zog sich das Kleid über das verschwitzte Unterkleid und lief auf den Gang. Sie musste sich vorwärtstasten, um die Seitentür hinaus in den Klosterhof zu finden, dann stand sie mit bloßen Füßen im Schnee und in der Kälte der Nacht. Sie machte ein paar Schritte, raffte ihre Kleider und ging in die Hocke, um sich zu erleichtern. Die Brise, die um ihren nackten Unterleib strich, war wie zärtliche, tastende Finger. Sie fror nicht.
Caitlín schüttelte die Kleider herunter und lief zu einer Seitentür. Hier, wo zuvor die Knechte gewohnt hatten, schlief nun er. Wenn sie schon einmal hier war, wollte sie sich auch vergewissern, dass er noch lebte und atmete. Seit jenem Tag im Stall hatte sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Er schlief oft, und die Äbtissin achtete darauf, sie und die Nonnen von ihm fernzuhalten.
Und auch Caitlín selbst fürchtete sich vor seiner Nähe. Immer wenn sie ihn sah, kreisten ihre Gedanken danach umso stärker um ihn.
Eine alte Nonne, die sagte, sie könne nichts mehr erschrecken, kümmerte sich um ihn, brachte ihm zu essen und heilenden Kräutersud. Manchmal, das hatte Caitlín beobachtet, verschloss sie seine Tür.
Manchmal nicht. Caitlín legte die Hand auf den Griff. Nichts war von drinnen zu hören. Da sie allmählich nun doch fröstelte, drückte sie den Griff hinunter. Mit einem leisen Knarren – viel zu laut für die Nacht – öffnete sich die Tür.
Sie schlüpfte hinein und drückte die Tür hinter sich ins Schloss. Dunkel und kalt war es in dem kargen Raum, auch wenn in einem Kupferbecken noch einige Kohlen schwelten. Ihr rötlicher Schimmer spiegelte sich im schweißfeuchten Gesicht des Wikingers. Er lag auf seiner Pritsche, eingehüllt in eine Decke. Sein Atem ging tief und gleichmäßig, doch seine Haltung wirkte verkrampft, da er im Schlaf unbeabsichtigt seinen Rücken belastete.
Fast hätte sie sich ihren Zeh an der blanken Klinge seines Schwertes geschnitten, das griffbereit neben ihm auf dem Boden lag. Wenn er nun erwachte und sie für einen Eindringling hielt! Sie wollte das Schwert forttragen, doch es war zu schwer, um dies lautlos zu tun. Also schob sie es unter seine Pritsche. Als sie mit der Schulter gegen den Holzrahmen stieß, erstarrte sie. Njal wälzte sich zu ihr, öffnete kurz die Augen, schien sie aber nicht wahrzunehmen. Sie wartete. Als sie glaubte, er würde wieder schlafen und nichts bemerken, berührte sie seine erhitzte Wange.
Und seinen Mund. Sie neigte sich vor und ließ ihren tastenden Fingerspitzen ihre Lippen folgen.
»Caitlín«, flüsterte er.
Sie dachte, sie müsse erschrecken, doch so war es nicht. Ruhig blickte sie auf ihn hinab.
Er schob einen Ellbogen unter der Decke hervor. Sein Oberkörper war entblößt. Caitlín strich darüber.
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