Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
mutig. Und wie zornig. Sie war wie geschaffen für ihn. »Und wo sind deine Götter jetzt?«, schrie sie ihn an. »Wir werden alle sterben!«
»So schnell stirbt sich’s nicht, nicht einmal auf See.« Die Antwort wurde ihm vom Wind förmlich von den Lippen gerissen. Njal zerrte Caitlín unter die Plane, die das Heck überspannte. Unter ihr verborgen waren all die Güter festgezurrt, die das Handelsschiff in das Nordland bringen sollte, in die Handelsstadt Yddal. Sie lag nicht weit entfernt von Thrymheimr, seinem Heimatdorf, das die Umgegend beherrschte. Das Geld, das ihm der Verkauf des gestohlenen Pferdes eingebracht hatte, war dem Händler genug gewesen, um einen Tag zu opfern, den es kostete, tief in den Odinsfjord zu fahren, an dessen Ende Thrymheimr lag. Doch Odin schien es nicht gut mit ihnen zu meinen.
Bedrohlich knarrten die Planken und knirschten die Seile. Der Mast bog sich. Njal stieß die verzweifelt zappelnde Caitlín zu Boden, griff sich eine der Seilrollen und band sie an der Bordwand fest. Mit den klammen Fingern seiner immer noch schwachen Hand war es nicht leicht, das Seil um Caitlíns Taille zu knoten. Ein Brotfass traf seinen Rücken und zwang ihn auf die Knie. Fast fiel er in ihre Arme. Sie umschlang ihn, während er arbeitete.
»Jetzt du!«, schrie sie in sein Ohr. »Auch du musst dich festbinden!«
Sie versuchte das Ende des Seils um seine Mitte zu schlingen. Eine Welle schwappte über sie hinweg. Das Schiff krängte, und er rutschte von ihr fort, auf eine Lücke in der Bordwand zu, die ein herumrollendes Fass geschlagen hatte. Er würde ins tosende Meer stürzen wie schon andere Männer vor ihm … Seine Hände suchten vergebens das Seil. Er sah noch die aufragende Felswand neben dem Schiff, hörte Caitlíns Entsetzensschrei, dann verschlang ihn die undurchdringliche Finsternis Niflheimrs.
Dunkelheit und Kälte. Caitlín wollte atmen. Musste. Nichts anderes hatte Bedeutung. Aber sie konnte nicht. Ihre Lunge brannte, ihre Finger krümmten sich, rieben über ihr Gesicht im verzweifelten Versuch, den Schmerz zu ertragen. Sie starb, oh, sie musste sterben, oder weshalb erhaschte sie einen Blick in eine lang zurückliegende vertraute Welt, wie es Sterbende taten?
Die Kälte wich der Hitze eines Herdfeuers. Schatten huschten umher, Lachen drang wie durch dicke Wolle an ihre pochenden Ohren. Lichter flammten auf. Stimmengemurmel. Kinderlachen. Ein Hund bellte. Eine Frauenstimme erhob sich über die anderen. Caitlín verstand nichts, aber dem Tonfall nach musste es Vinda sein, Herrin über die Küche, die anscheinend wieder über eine faule Magd gestolpert war. Vinda, deren Wildbretpasteten so herrlich schmeckten! Und da waren ihre Mutter und ihr Vater, ach, sie waren noch so jung! Caitlín sah sich selbst, ein kleines Mädchen, das auf stämmigen Beinen durch die Küche rannte, weil es ein Stück der Pastete stibitzt hatte. Rote Locken flogen hinter ihm her. Sein Lachen klang wie feines Glöckchengeläut.
Es duftete nach Spezereien, und auf einer Bank saß ihre Amme mit ergrautem Haar und versuchte ihre heitere Stimme über die der Kinder zu erheben.
Große Traurigkeit überkam Caitlín, als die Gesichter der Menschen wieder verblassten. Lieber Gott, bitte schick mich nicht zurück in die schreckliche Schwärze!
Doch plötzlich kitzelte ein Lichtstrahl ihre Lider, und sie wusste, dass sie nur geträumt hatte, dieses Licht jedoch wirklich war. Blinzelnd öffnete sie die Augen.
Es war still. Kein Kinderlachen, kein brausendes Meer. Sie lag in warmen Felle gehüllt; über ihr erblickte sie die Dachbalken eines Hauses. Der Sonnenstrahl fiel durch die Bretterritzen eines geschlossenen Fensterladens. Hatte sie wirklich nur geträumt? Sie konnte noch den Duft orientalischer Kräuter riechen. Glaubte noch, deutlich die Küchengeräusche im Ohr zu haben. War vielleicht auch das Schiffsunglück nur ein Traum gewesen? Auf die Seite rollend entdeckte sie ihr Kleid auf einem Hocker. Sie schob einen Arm unter den Fellen hervor und streckte sich danach. Es war zerrissen und steif vom Salzwasser. Auch in ihren Haaren, wenngleich sie wirkten, als habe sie jemand gewaschen, hing der untrügliche Geruch des Meeres.
Caitlín fuhr hoch. Wie ein eiseskalter Guss prasselte die Erinnerung auf sie ein. Dies hier war nicht ihr Zuhause; sie hatte es ja verlassen. Aber es war auch nicht die Abtei der Benediktinerinnen.
Sie war nicht in Irland. Seit Wochen schon nicht mehr. Die schwarze Küste des Nordlandes, die
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