Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
»Meyja, meyja … «
Er war es. Mit jedem Wort, das einem liebkosenden Hauch glich, strich er über ihre Schultern, um sie zu wärmen.
Sie wagte es, die Lider zu heben. Und blickte in Njals Gesicht.
Du lebst?
Es gelang ihr nicht, die Frage zu stellen. Ihre Lippen zitterten zu sehr von der Kälte, der Anspannung und der Einsicht: Sie war einem Mann ins Ungewisse gefolgt, in ein wildes Land, nur um zu erfahren, dass er längst eine andere liebte und für sie nur das schmähliche Dasein einer Sklavin blieb.
Njal beugte sich über sie. Geschmolzener Schnee hatte seine Haare genässt und zu glänzenden Strähnen geformt, die sie fast berührten. Wasser tropfte heraus. In der ihm eigenen Art warf er die Mähne hinter sich. Und musterte sie aus seinen tiefblauen, unergründlichen Augen. Seine Mundwinkel hoben sich leicht. Las sie Spott in seiner Miene? Vermutlich. Es war dumm von ihr gewesen, einfach so in die Kälte zu fliehen.
Njal löste den Schwertgürtel und zog sich das Kettenhemd über den Kopf. Ein Gambeson kam zum Vorschein, an einer Seite aufgerissen und blutig. Er knüpfte ihn auf und streifte ihn ab. Zuerst sträubte sie sich, als er ihr hineinhelfen wollte. Doch die dick mit Wolle gefütterte Jacke strahlte verlockende Wärme aus.
»Wie kannst du noch leben?«, wagte sie endlich trotzig zu fragen.
»Ich habe gesiegt, was dir anscheinend entgangen ist. Aber ich habe sie nicht alle getötet«, sagte er sachlich. »Nur drei. Den anderen ist danach die Lust am Kämpfen vergangen.«
Sorgfältig breitete er wieder den Umhang über ihr aus, bevor er ihr den Rücken zukehrte, um Holzscheite in das Feuer zu legen. Seinem Murren nach zu urteilen, wollte es nicht recht in Gang kommen.
Wie konnte er gesiegt haben? Als sie geflohen war, da war er von Männern mit Messern umzingelt gewesen. Und hatte eine Schwertspitze in seinem Nacken gespürt.
»Und das Kettenhemd?«, fragte sie.
Er blickte über die Schulter, kühl lächelnd. »Ich bin ein räuberischer Wikinger, hast du das vergessen? Es ist in sehr gutem Zustand. Was man von seinem früheren Träger nicht mehr behaupten kann.« Er runzelte die Stirn, da Caitlín ein Zittern überkam. Sofort war er bei ihr, griff nach ihren Schultern. Sie erstarrte vor Schreck. Doch er rieb sie nur so lange, bis der Kälteschauer nachließ.
Sie schüttelte sich, damit er losließ. »Warum hast du so lange gewartet, mich dieser Horde zu entreißen?«, klagte sie. »Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten mich … mich …« Irgendetwas musste sie ihm hinwerfen, um nicht vor Zorn mit der Frage herauszuplatzen, die sie am stärksten quälte: Weshalb hast du mich so fürchterlich hintergangen?
»Sie hätten dir schon nichts angetan; ich wäre rechtzeitig dazwischengegangen. Ich hatte einen Kampf bitter nötig. Es war ohnehin an der Zeit festzustellen, was meine Hand aushält.«
Es klang, als hätte es ihn gefreut, sie in einer solchen Bedrängnis vorzufinden. Mit Schaudern dachte sie an die gierigen Blicke und Hände zurück. Sie wollte ihm vorwerfen, dass er nur ein rauflustiger Wikinger war, aber das würde er wohl kaum als Beleidigung empfinden. »Schön, dass sie anscheinend wieder geheilt ist«, sagte sie spitz.
Er brummte zustimmend. »Weshalb wolltest du fliehen?«
»Weil ich frei geboren bin und gehen kann, wohin es mir beliebt.«
»Das kannst du nicht. Nicht mehr jedenfalls. Du siehst ja, was geschieht. Flucht ist Kampf, und Kampf bedarf eines kühlen Kopfes und eines gescheiten Plans.«
Sie presste die Augen zusammen. »Eine Sklavin soll ich jetzt sein? War es das, was du mir versprochen hast?«
»Versprochen?«
»Du hast …«
»Nichts tat ich!«, unterbrach er sie unwirsch. »Ich sagte dir, es wäre nicht gut für dich, mit mir zu gehen, aber du hast dich mir ja regelrecht an den Hals geworfen.«
» Was habe ich? Das ist nicht wahr! Du hast mich entführt. Niemals wäre ich freiwillig mit einem – einem Wikinger gegangen!« Sie warf sich auf die Seite und kehrte ihm den Rücken zu.
Lange Zeit sagte er nichts. Trotzdem konnte sie förmlich spüren, wie es in ihm brodelte. Dann hörte sie, wie er tief Atem holte. »Erinnerst du dich, als ich dich in Larne allein ließ, um das Pferd zu verkaufen und nach einem Schiff zu suchen? Ich hatte gesagt, es sei besser, wenn du nicht dabei wärst. Der wahre Grund war aber, dass ich dir Gelegenheit geben wollte, es dir noch einmal anders zu überlegen. Du hättest einfach gehen können.«
Natürlich erinnerte
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