Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
bete und öffne die Augen und dann …«
»Und? Hilft dein Gott?«
»Nun ja … Es kam schon vor.«
Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Seine Fingerkuppen waren warm. Und sanft, viel zu sanft. Es hätte wie damals im Stall der Abtei sein können. Er hatte sie getröstet und in den Armen gewiegt. Wenn sie nur nicht wüsste, dass eine andere auf ihn wartete.
Caitlín biss auf ihre Unterlippe. Alles in ihr drängte danach, ihm an den Kopf zu werfen, wie schändlich sie sein Verhalten fand. Doch sie wollte sich nicht die Blöße geben. Also biss sie auf ihrer Lippe herum, bis sie zu bluten begann. Trotzdem wich das Zittern endlich wohliger Wärme, und insgeheim wünschte sie sich, dass die dick gefütterte Jacke nicht zwischen ihrer und seiner Haut wäre. Irgendetwas musste sie tun oder sagen, um sich von diesem verräterischen Gefühl abzulenken.
»Er hat dich einen Bastard genannt. Was meinte er damit?«
»Kannst du’s dir nicht denken?« Er griff sich seufzend in die Haare.
»Doch«, murmelte sie. Dass Njal Álfdis seine Mutter nannte, sie aber nur seine Stiefmutter war, das begriff sie wohl.
»Mein Vater war früher oft auf Wikingfahrt; sogar bis nach Byzanz hatte es ihn verschlagen«, begann er zu erzählen. »Von dort brachte er meine Mutter mit und machte sie zu seiner Nebenfrau. Er nannte sie seinen Obsidian, weil ihre Haare genauso glänzten. Ihr Name war Vala. Sie starb kurz nach meiner Geburt. An den Folgen, so hieß es. Nach der Entbindung soll sie sehr blass gewesen sein und wollte nicht mehr aufstehen. Eines Morgens war sie dann tot. Später habe ich einige Stimmen gehört, die behaupteten, Álfdis habe mit Hexerei nachgeholfen.«
»Schon zu Hause wurde mir erzählt, dass es bei den Wikingern hart zugeht. Jede unbedachte Bemerkung kann tödlich oder in Gewalt enden. Dann auch noch die Familienfehden … Da würde es mich nicht wundern, wenn die Gerüchte stimmen.«
Er zuckte mit den Achseln.
»Hat dein Vater deine Mutter geliebt?«, fragte sie vorsichtig.
Njal sah sie stirnrunzelnd an. »Er sprach nie über sie. Aber er behandelte mich, den Sohn einer Nebenfrau, wie den Sohn der Hauptfrau, also muss es wohl so gewesen sein.«
»Und deshalb hasst Álfdis dich.«
»Hassen? Ach, Unsinn, meyja , sie kann mich einfach nur nicht leiden. Sie ist kalt wie ein Frostriese, aber das hat das harte Leben aus ihr gemacht. Auch sie hat bei der Geburt von Thorir gelitten. Nur um ein Haar ist sie dem Tod entkommen.«
Caitlín hatte den Eindruck, dass Njal Álfdis’ Gefühle unterschätzte. Vielleicht musste man ja eine Frau sein, um den Hass in ihren Augen richtig zu deuten.
»Weshalb hast du nicht noch andere Brüder?«
»Ich hatte Brüder und Schwestern, natürlich – aber sie waren schwach und starben noch in jungen Jahren, wie es halt vorkommt in harten Wintern. Vater hat nach Vala nie wieder eine zweite Nebenfrau gehabt. Und irgendwann hat er Álfdis nicht mehr angerührt. Aber glaubst du, so etwas würde ein Vater seinem Sohn erzählen? Ich vermute das nur.« Er runzelte die Stirn. »Caitlín, du musst etwas für mich tun.«
»Ich schulde dir nichts«, erwiderte sie schroff.
Er ging nicht darauf ein. »Hab ein Auge auf meinen Vater. Er ist nicht mehr der alte. Er ist krank.«
»Krank? Selten hab ich einen Menschen gesehen, der so viel Kraft ausstrahlte. Die Kraft eines Bären.«
»Du hast ihn vorher nicht gekannt.«
»Du verlangst viel von mir. Sehr viel. Und wie sollte ich das überhaupt machen? Dein Vater möchte mich am liebsten an einem Spieß über dem Feuer rösten.«
»Unsinn, meyja . Er hat dich gern.«
Sie rollte mit den Augen. Wikinger hatten anscheinend eine seltsame Auffassung davon, was es hieß, jemanden zu mögen.
Plötzlich wälzte er sich auf sie. Seine Hände umfassten ihre Wangen, so fest, dass ihr angst und bange wurde. So dicht war sein Mund, dass sich ihre Lippen unwillkürlich öffneten.
»Und versprich mir noch eines«, sagte er so eindringlich, dass sie sofort nickte. »Geh Thorir aus dem Weg.«
Er senkte den Kopf. Seine Lippen berührten kurz ihr Kinn, dann legte er sein Gesicht in ihre Halsbeuge. Sein Haar bedeckte ihr Gesicht wie ein Schleier. Seine Hände ballten sich zu mächtigen Fäusten, so als schüttelte ihn ohnmächtige Wut. Aber wie sollte sie das Versprechen erfüllen? Sie war nur eine Sklavin – und würde vielleicht bald Thorir gehören.
10.
S ie stand vor dem riesenhaften Mann, der sie nicht leiden konnte, weil sie eine Irin war.
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