Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
Eirik Grímisson starrte sie an, als überlege er, ihr ebenfalls die Augen auszustechen, wie jenem Bogenschützen, der seines auf dem Gewissen hatte. Caitlín zweifelte nicht daran, dass noch viele andere Iren unter den Schwerthieben seiner gewaltigen Pranken gestorben waren. Wenn dieser Mann von Krankheit gezeichnet war, wie Njal behauptete – wie mächtig und stark mochte er dann zuvor gewesen sein? Aus dem könnte man jetzt noch drei anständige Krieger machen , dachte sie, während sie mit zittrigen Händen das Trinkhorn hob, in dem Met schwappte. Nein, fünf Krieger .
»Komm!« Eirik Grímisson hob die andere Hand und krümmte einen Finger. Wie von einem Haken gezogen näherte sich Caitlín und streckte ihm das Horn entgegen. Er neigte sich vor, packte es und trank. In seiner Hand wirkte das Ochsenhorn beinahe zierlich.
Unter dem Blick seines eisgrauen Auges glaubte sie zu schrumpfen, wie wahrscheinlich jeder Krieger, der ihm je auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden hatte. Schon das leise Knurren, mit dem er den Geschmack des Ales lobte, ließ sie an einen hungrigen Wolf denken, der seine Fänge in erlegtes Wild schlug.
Und auf diesen Mann sollte sie aufpassen?
Er wischte sich den Schaum, der in seinem rotblonden Bart hing, mit dem Handrücken ab, bevor er erneut das Horn an die Lippen hob. Jede seiner Bewegungen wirkte gewichtig, als stünde er an Bord eines Schiffes, und das Überleben der Mannschaft hinge allein von dem ab, was er tat und sagte. Derweil musterte er Caitlín, als habe sie ihm Gift gereicht. Sie wagte kaum zu atmen.
»Flüchten wolltest du also?« Die Frage klang so ruhig wie bedrohlich. Er begann sich den Bart zu kraulen, der in einem dicken Zopf endete.
Caitlín schluckte. »Ja.«
Njal hatte sie am Eingang des Langhauses mit der Anweisung in Edanas Obhut übergeben, sie nicht zu bestrafen. Patrick hatte erleichtert ein Kreuzzeichen geschlagen, und auch sonst war ihre Rückkehr nicht unbemerkt geblieben.
Was Njal jetzt wohl tat? Seine Miene war zum Abschied voller Zorn und Schmerz gewesen. Er hatte die Hand an ihre Wange gelegt und sie dort ruhen lassen, bis sie sich beinahe wohlig an sie geschmiegt hatte …
Der Herse presste die Handflächen auf die Lehnen und richtete sich drohend auf. »Weißt du, was mit Sklaven geschieht, die zu fliehen versuchen?«
Daheim hatte sie so einiges darüber gehört. Schauergeschichten eben, die, so war sie jetzt überzeugt, allesamt der Wahrheit entsprachen. Dass man Füße durchbohrte und aneinanderband; dass man Ohren abschlug und Gesichter tätowierte und einer Frau natürlich die Haare schor. Ihr schwindelte vor Angst.
Eirik Grímisson grinste. »Schau nicht so drein wie ein Reh in der Falle. Einen Versuch gönne ich jedem Sklaven. Schließlich will es jeder ausprobieren, und was sollten wir mit so vielen verstümmelten Leuten anfangen? Beim nächsten Mal jedoch …« Bedeutungsschwer ließ er den Satz unbeendet in der Luft hängen. »Aber jetzt bist du ja wieder bei uns. Wer hat dich übrigens so herausgeputzt?«
»Ich, Herr.« Edana, die hinter Caitlín stand, erhob ihre Stimme. »Auf Thorirs Geheiß.«
Wahrscheinlich will er seinen Bruder wahnsinnig machen , hatte Edana ihr zugeraunt, während sie ihr die Locken gekämmt hatte, dass sie ihr um die Schultern wallten. Njal soll vor Wut wie ein Berserker in seinen Schildrand beißen .
Caitlín hingegen hatte nur grimmig gedacht: So schmerzlich wird der Verlust für ihn schon nicht sein, schließlich hat er bald die schöne Sif .
Eiriks Augen blitzten voller Lust, als er den Blick über sie wandern ließ. Aber es war nicht jene Art Lust, die einen jüngeren Mann erfasst hätte. »Wahrlich ein prächtiger Anblick, Irin.« Wieder trank er; die Spitze des Horns wies zur Hallendecke. Genüsslich stieß er auf. »Allerdings könnte man auf den Gedanken kommen, du seist eine Herrin. Das ist nicht gut.«
Caitlín blickte an sich hinunter. Ihr Kleid war aus feinem, dicht gewebtem Wollstoff, der in einem leuchtenden Rot gefärbt worden war. Ein Schürzenkleid mit schönen Spiralfibeln, wie Álfdis es trug, hatte Thorir abgelehnt, da nicht allzu viel Stoff ihre Rundungen verbergen sollte. Wenigstens ein wollenes Unterkleid hatte er ihr zugestanden, sodass sie nicht fror. Doch beider Ausschnitt war so tief, dass der Ansatz ihrer Brüste deutlich sichtbar war.
Des Hersen Pranke griff in ihr Haar. »Kaum seh ich dich an, Irin, bekomme ich schon wieder Kopfschmerzen. Woran das wohl liegt? Ah!«
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