Der Schwefelfluss
dem herrschenden Dämmer konnte er nicht viel erkennen. Das Flussbett war nicht schlammig, sondern wirkte eher wie geschliffener Fels, auf dem sich unzählige Gewächse festgesetzt hatten. Etliche Fuß lange Fangfäden, von der Dicke eines Fingers bis hin zur Stärke eines muskulösen Oberarms, trieben in der Strömung. Auf der Suche nach Nahrung setzten sie sich an der Rüstung fest. Duprel hatte Mühe, sie abzustreifen.
Noch konnte er sich nicht allzu weit vom Flussgefängnis entfernt haben. Wenn er jetzt schon an Land ging, lief er Gefahr, von Häschern des Erzmagiers aufgespürt zu werden.
Siedend heiß überlief es ihn: Er durfte nicht länger im Fluss bleiben, wollte er nicht ersticken. Wie viel Luft mochte noch in der Rüstung sein, die ihn am Leben erhielt?
Daran hatte er nicht gedacht. Er war verloren.
Aber nach einigen bangen Herzschlägen siegte die Überzeugung, dass der Träger des Harnischs nicht umkommen würde, egal in welcher Gefahr er sich befand. Nur vor der Schwarzen Magie musste er sich hüten.
Duprel Selamy hielt sich nach links, bis endlich das Steilufer vor ihm aufragte. Auf diese Weise vermied er, ohne dass er sich dessen bewusst wurde, im Kreis zu laufen.
Mit jedem Schritt, den er tat, wuchs seine Zuversicht. Irgendwann würde er zwar den Fluss verlassen und von da an vor Vassander auf der Hut sein müssen, aber darüber machte er sich jetzt noch keine Gedanken. Nicht nur seine Zukunft lag im Ungewissen, sondern das Schicksal der ganzen Lichtwelt.
*
Ein gellender Schrei hallte durch den Wald, als Hark sein Opfer ansprang und mit ihm zusammen zu Boden stürzte. Aber so schrie kein Mann. Das war die Stimme einer Frau, die sich in höchster Verzweiflung befand.
Mythor sprang hinzu, drängte den Bitterwolf zur Seite und riss den Angreifer hoch. Es war wirklich ein Weib. Furcht sprach aus ihrem Blick.
Ihr Alter war schwer zu schätzen, denn ihr Gesicht, von Wind und Wetter gegerbt, war voller Falten und Runzeln. Mythor nahm ihr den Lederstreifen ab und ein kleines Säckchen, das gefüllt war mit scharfkantig geschliffenen Steinen. Abschätzend wog er die primitive, aber doch wirkungsvolle Schleuder in der Hand, dann warf er sie von sich. Er ließ dabei die Hütte nicht aus den Augen, rechnete er doch damit, erneut angegriffen zu werden. Aber alles blieb ruhig. Zu ruhig.
»Hark!« Ein kurzer Wink, und der Wolf verschwand im Wald. Niemand würde Mythor nun noch in den Rücken fallen können.
»Wer bist du?« wandte er sich an die Frau.
Sie schwieg, presste die Lippen aufeinander, bis sie nur noch einen schmalen, blutleeren Strich bildeten, und wich seinem Blick aus.
Mythor setzte ihr das Schwert auf die Brust. »Dir werde ich nichts tun. Aber vielleicht bekommt dein Kumpan die Klinge zu spüren, wenn du nicht redest. Ich habe es nicht gerne, wenn man mich aus dem Hinterhalt überfällt.«
Aus den Augenwinkeln heraus nahm er eine flüchtige Bewegung wahr. Ehe er überhaupt reagieren konnte, krachte ein Stein unmittelbar neben ihm ins Moos. Fast gleichzeitig sprang der Bitterwolf den zweiten Angreifer an. Die Frau neben Mythor stöhnte auf. Aller mühsam aufrecht erhaltener Widerstand schien von ihr abzufallen.
Der Sohn des Kometen nutzte die Gelegenheit. Während er Alton in den Gürtel schob, um zu zeigen, dass er es nicht auf ihr Leben abgesehen hatte, fragte er erneut: »Warum wolltet ihr mich umbringen?«
Angst und Erschrecken standen ihr ins Gesicht geschrieben. Aber sie hätte wohl dennoch nicht den Mund aufgemacht, hätte nicht der Bitterwolf ein gereiztes Bellen hören lassen.
»Ruf die Bestie zurück, bevor sie meinen Mann tötet!« forderte sie mit zitternder Stimme.
»Nur wenn du mir meine Fragen beantwortest.«
Sie wand sich, als empfinde sie körperliche Qualen. »Niemand, der sein Leben liebt, wird einen Dämonenreiter dulden.«
Das also war es. Mythor verstand. Aberglaube beherrschte die Gedanken der beiden, die einsam im Wald lebten. Wahrscheinlich hatten sie gehofft, dass er vorbeiziehen werde, und ihn erst angegriffen, als er sich ihrer Kate näherte.
»Aber wieso.«
Die Frau wandte den Kopf, und der Blick ihrer schreckgeweiteten Augen wanderte zu Pandor hinüber, der am Waldrand graste. »Das Einhorn«, sagte sie. »Wir wurden gewarnt und wussten, dass du kommen würdest.«
»Ich verstehe deine Furcht.« Mythor erhob sich und rief nach Hark, der sofort von seinem Opfer abließ. »Aber ich bin nicht der, für den du und dein Mann mich haltet. Nie würde ich
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