Der schweigende Mund
Donald eine Aufwartefrau beschäftigt, wollte er vermeiden, daß durch ihre Tratscherei eventuell der Hauseigentümer davon erfährt, daß ich hier wohne, und daher habe ich meine Sachen nicht nach hier mitgenommen.«
»Aber Ihre Zahnbürste werden Sie doch mindestens hierlassen, und wo ist die?«
Ruth blickte mich hilfesuchend an.
Sellers plusterte sich auf, ihm schien eine Erleuchtung gekommen zu sein: »Alles gelogen, kann ja gar nicht stimmen... Moment, jetzt dämmert’s« - und dabei musterte er Ruth von oben bis unten - »rote Haare, ungefähr einssechzig groß, Gewicht etwa einhundertzehn, gute Figur. Das ist ja das Mädchen, das wir suchen! Genauso lautet der Steckbrief, mit dem wir nach der Mörderin fahnden! Sie sind Ruth Otis!«
Sofort schaltete ich mich ein: »Bekennen wir uns für geschlagen, Ruth. Nur ruhig Blut, setzen Sie sich. Lassen wir alles über uns ergehen, denn in spätestens einer Minute wird Inspektor Sellers Ihre Handtasche untersuchen und anhand des Führerscheins Ihre Identität festgestellt haben.«
»Mir flimmert’s vor den Augen«, stotterte Bertha und setzte sich auf den ihr am nächsten stehenden Stuhl.
Ich holte tief Luft und versuchte zur Sache zu kommen: »Also gut, setzen wir uns alle. Ich werde mich bemühen, ohne viel Umschweife die gegebenen Tatbestände zu beleuchten... «
»Ich werde mich hüten, die Sache hier und ausgerechnet mit Ihnen zu besprechen«, unterbrach mich Sellers.
»Doch ich bin fest davon überzeugt, daß es mir gelingen wird, den Fall in zwei bis drei Stunden aufzuklären«, erwiderte ich.
»Ach, wie reizend von Ihnen«, spottete Sellers. »Sieh mal einer an: Dieser alte Fuchs will also den ganzen Fall selbst in die Hand nehmen; und natürlich wird er dabei den gesamten Polizeiapparat übertrumpfen, nicht wahr, Donald?«
»Wie die Dinge jetzt liegen, ja.«
»Nicht unbescheiden, was Bertha?«
»Wenn Sie hier wie ein Tiger im Käfig umherstolzieren, klären Sie bestimmt nichts. Setzen Sie sich doch endlich hin, dann werde ich Ihnen den einzig richtigen Weg zur Aufklärung des Falles aufzeigen. Das Ärgerliche bei der Polizei ist nur, daß sie immer die Presse im Schlepptau hat, denn sobald eine Verhaftung erfolgt, steht’s auch schon brühwarm in der Zeitung. Zwar ist die Polizei unbestechlich, aber ihr ausgeprägtes Trachten, möglichst in jeder Sache einen selbstgefälligen Pressewirbel zu entfachen, hat nicht selten die Aufklärung eines kompliziert gelagerten Falles nur noch erschwert. Sobald man auf Eigenreklame aus ist, hat es ein sensationshungriger Reporter recht leicht: Er schnappt sich da so einen Inspektor beiseite und flüstert ihm ins Ohr: >Geben Sie mir ’nen Tip, ich werde die Geschichte ganz groß aufziehen und herausstellen, wie Sie die Spur hartnäckig weiterverfolgten, an der die anderen vorbeigegangen sind. Auch werde ich hervorheben, daß Sie das Mädchen persönlich dingfest machen.< Diesen Lockungen unterliegen doch mehr oder weniger die meisten Ihrer Kollegen, und freigebig wird dann alles ausgepackt, was man glaubt, zu wissen.«
»Werden Sie nicht zu frech und halten Sie sich nicht so lange mit der Vorrede auf«, polterte Sellers auf mich los.
»Und nun werde ich Ihnen den wahren Sachverhalt zur Kenntnis bringen«, sagte ich völlig ruhig.
»Ich wünschte, Sie hätten damit schon angefangen.«
Nach einer kleinen Pause begann ich: »Den Auftrag, Arsenik zu kaufen, erhielt Miss Otis von Doktor Quay. Nachdem sie es ihm besorgt hatte, mußte sie das Giftpäckchen auf einen von Doktor Quay bestimmten Platz im Laboratorium legen. Als Miss Otis mich davon in Kenntnis setzte, fragte sie gleichzeitig, was sie tun solle. Ich riet ihr, noch einmal in Doktor Quays Praxis zurückzugehen, das Päckchen zu holen, um ihm die Gelegenheit zu nehmen, es anderswo zu verstecken. Miss Otis holte also in der vergangenen Nacht das Arsenik aus dem Labor von Doktor Quay und legte es in ein Schließfach im Union-Bahnhof. Anschließend informierte sie mich, daß das Gift nun an einem sicheren Ort aufbewahrt sei. Ich empfahl ihr, sofort die Polizei über alles zu unterrichten, doch sie bat mich, ihr diese Aufgabe abzunehmen. Ich forderte sie auf, hier in meiner Wohnung zu warten, denn ich würde das Arsenik selbst aus dem Schließfach zurückholen. Es stellte sich aber heraus, daß der Schlüssel zum Schließfach in der Tasche ihres anderen Kostüms steckte, das sie gestern trug. Sie händigte mir also den Schlüssel zu ihrer Wohnung aus, und
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