Der Schwimmer: Roman (German Edition)
sonnigen Tag seit Monaten. Pista sei ihm gefolgt, sei rufend hinter ihm her gerudert, und habe dort, weit draußen, Zoltán am nassen Hemdkragen ins Boot gezogen und so lange geohrfeigt, bis er wieder zur Besinnung gekommen und zurückgerudert sei.
Virág hatte sich an Ágis schwarzen Rock geklammert, hatte den Blick abgewendet von den Seilen, die beide Männer jetzt mit Ágis Erlaubnis durch ihre Hände gleiten ließen, von der Erde, die auf dem Holz verteilt war, und von der Stille, die nach dem Weinen entstanden war. Ohne ihre Hand vom Stoff zu lösen, hatte sie sich mit ihrer Mutter von den anderen entfernt und war über die angrenzende Straße gegangen, die den katholischen vom evangelischen Friedhof trennte. Bis zum späten Abend waren sie über die Felder gelaufen, zuerst im Kreis, immer wieder im Kreis, über die eigenen Fußspuren. Virág war in die Stapfen ihrer Mutter gesprungen, manchmal waren es zwei, drei Abdrücke, die sie mit einem Anlauf, mit einem Satz übersprang, und später sagte sie, nie habe sie diesen Umriß eines Schuhs, diesen Abdruck eines Fußes auf dunkler Erde vergessen. Sie waren bis dorthin gelaufen, wo es keine Häuser mehr gab, nur Bäume auf einem Stück flacher Erde, hinter einem Graben. Ági hatte ihre Schuhe, ihren Schal, ihren Mantel ausgezogen, hatte sich auf den Rücken gelegt, den Mantel als Kissen unter ihrem Kopf, hatte ihre Finger in den Boden gegraben und aus ihren Händen Erde rieseln lassen, wieder und wieder, auf ihre Stirn, auf ihren Hals, auf ihren Bauch, und Virág hatte sich an sie geschmiegt und den Kopf an ihre Schulter gelegt.
Als es anfing, Nacht zu werden, waren sie zurückgekehrt. Ági hatte nicht viel mehr bemerkt als schwarz gekleidete Männer und Frauen, die unter einem Licht am Küchentisch saßen, vor den Resten einer Tafel. Ein bißchen Rauch, der aufgestiegen war, vielleicht ein Glas, das geklungen hatte, weil jemand auf die Tote und ihren Frieden anstieß. Alle hatten ihre Köpfe gedreht und auf Ági geschaut, wie sie im Türrahmen stand, neben Virág, beide mit schmutzigen Händen und Füßen und Kleidern. Sie hatten die Gläser abgestellt, über ihre Lippen gewischt, etwas geflüstert, und dann war einer aufgestanden und hatte Ági seinen Mantel um die Schultern gelegt und den Dreck mit einem Küchentuch von ihrem Gesicht gewischt.
Virág hatte für ihre Mutter etwas Fleisch und Brot auf einen Teller gelegt, Ági hatte ihren Mund nicht geöffnet, und Virág hatte vergeblich versucht, die Lippen ihrer Mutter auseinanderzuschieben. Immer wieder hatte sie es versucht, auch in den Tagen und Wochen, sogar in den Monaten danach. Ági hatte sich nicht mehr bewegt, sie war sitzengeblieben auf dem Stuhl, den die anderen für sie an den Tisch gestellt hatten, als sie von den Feldern zurückgekehrt war, und manchmal hatte sie ihre Hände in die Hüften gestemmt, als wolle sie sagen, seht doch, ich kann nicht länger sitzen, seht ihr das nicht.
Sie hatte die Uhr nicht mehr aufgezogen, niemand hatte das getan, sie hatte die Fenster nicht mehr geöffnet, die Blätter nicht mehr vom Kalender gerissen, auf dem es März blieb, bis November. Sie hatte nicht mehr gefroren, wenn es Nacht und kalt wurde, und als sich der Sommer ankündigte, mit den ersten hellen Abenden, bemerkte sie ihn nicht einmal. Sie ließ den Garten vertrocknen, betrat die Sommerküche nicht und schaute nicht mehr aus dem Fenster hinunter zum See, obwohl sie ihren Kopf bloß ein wenig hätte drehen müssen. Nur manchmal legte sie die Hände in den Schoß und faltete sie wie zum Gebet.
Zoltán hatte immer dann den Arzt gerufen, wenn er glaubte, etwas in Ágis Gesicht habe sich verändert oder etwas in ihrer Art, die Hände zusammenzulegen. Der Arzt hatte seine Tasche auf den Gepäckträger geklemmt, war mit seinem Fahrrad den Hügel hochgefahren und hatte versucht, mit Ági vom Türrahmen aus zu sprechen, weil sie nicht zuließ, daß jemand in ihre Nähe kam außer Virág, die ihrer Mutter hin und wieder ein Glas Wasser brachte und etwas Sirup darin auflöste. Der Arzt ließ Tabletten und eine Flasche mit dunklen Tropfen auf der Anrichte zurück. Beim nächsten Besuch nahm er alles wieder mit, so wie er es dagelassen hatte. Als es Zeit gewesen war, die Trauben zu lesen, hatte Zoltán seine Freunde aus dem Dorf kommen lassen, und Ági war auf ihrem Stuhl sitzengeblieben und hatte nichts und niemanden gehört. Sie hatte nicht gehört, was sie draußen im Weinberg riefen, nicht gesehen, wie
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