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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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tun sei, und dann spritzten sie den Wein, besserten den Zaun aus, hackten Holz, wechselten die Gasflaschen, weißten die Mauern der Sommerküche oder trugen Onkel Zoltán von der Sonne in den Schatten, wenn er eingeschlafen war, dann wieder vom Schatten in die Sonne, damit er aufwachte, und bei allem schaute Virág von der Terrasse aus zu, wie eine Schiedsrichterin, die bald den Sieger ausruft.

    Isti und ich hatten uns mehrere Geschichten über unsere Mutter ausgedacht, die wir jedesmal anders erzählten. Wir merkten uns, wem wir was gesagt hatten, und wir vergaßen nicht eine Wendung, nicht ein Detail. Wir sponnen die Geschichten weiter, schmückten sie aus, dichteten etwas dazu, nahmen etwas weg. Daß man sie als Lügen aufdecken würde, schlossen wir aus, vielleicht hielten wir sie bald selbst nicht mehr für Lügen. Ich denke, Isti fing an, unsere Geschichten zu glauben, ein bißchen sah er so aus, und ein bißchen redete er so. Wenn wir über die nahen Hügel liefen oder in einem Versteck in der Nähe des Hauses saßen, manchmal mit Blick auf den See, manchmal nur mit Blick auf einen Stapel Bretter, die Isti von irgendwo, von Baustellen und Müllgruben herbeigeschafft hatte, dann erfanden wir Erklärungen und Ausreden für unsere Mutter, dafür, daß sie nicht da war. Wir taten so, als könnte es dafür Gründe geben. Wir wollten niemand sein, den man vergißt, mühelos, niemand, von dem man sich entfernen kann, ohne Abschied, ohne Hindernis.

    Je einfacher die Geschichte war, desto häufiger erzählten wir sie. Unsere Mutter war in Vat, sagten wir, kümmerte sich um den Hof, die Tiere, half Freunden bei der Obsternte, oder Arbeiter in der Fabrik waren ausgefallen, und unsere Mutter hatte einspringen müssen. Uns fiel ein, daß sie sich den Fuß verletzt hatte, sich ausruhte, hinter der Gartenmauer, unter einem Baum, auf einem Stuhl, und nicht verreisen konnte, weil der Arzt jeden Nachmittag kam, um nach ihrem Fuß zu sehen. Dann war sie in einer Klinik, in einem Kurort, badete in Thermalwasser, oder die Luft am See war ihr nicht bekommen, und sie war nur wenige Stunden nach unserer Ankunft wieder abgereist. Manchmal sagten wir auch, sie würde bald nachkommen, am nächsten Tag, in der nächsten Woche, in einem Monat, in jedem Fall bald. Unten im Dorf oder an den Buden am See fragte man uns jetzt regelmäßig, wie es den Tieren zu Hause, wie es dem Fuß unserer Mutter gehe, ob der Arzt noch nach ihr sehe, was mit der Arbeit in der Fabrik und was mit der Obsternte sei, und Isti und ich dachten uns Antworten aus, wie es uns gefiel. Nur Mihály hörte bald auf, nach unserer Mutter zu fragen, und Isti sagte, Virág hat ihm alles erzählt. Ich bin mir sicher, er hatte nie an einen kranken Fuß oder an ein Thermalbad geglaubt, warum auch.

    Mein Vater fuhr hin und wieder zum Bahnhof nach Siófok, räumte Waggons aus, schleppte Kisten, stapelte Kartons, bekam ein bißchen Geld dafür, das er gleich wieder für die Fähre ausgab, jedenfalls erklärte er es uns so. Als Ági sagte, er solle mit dem Fahrrad fahren, wie andere auch, hörte mein Vater auf zu arbeiten und tat nichts weiter als zu schwimmen und mit uns das Schwimmen zu üben. Morgens räumte er nicht einmal mehr den Liegestuhl beiseite, in dem er nachts auf der Veranda geschlafen hatte. Ági kochte auch weiterhin für meinen Vater das Frühstück, aber sie brachte es ihm ohne ein Wort, und jedesmal, wenn mein Vater zum See lief, schrie sie ihm hinterher, nimm wenigstens diese Kinder mit, bis Virág ihr sagte, sie solle aufhören damit.

    Bald schon besorgte Mihály für meinen Vater Arbeit an der Anlegestelle, weil Virág ihn darum gebeten hatte, und mein Vater nahm sie an, weil er dachte, Virág oder Ági hätten nichts damit zu tun. Zuerst verkaufte er Fahrkarten am Schalter, für die Schiffe nach Siófok und zurück, aber als die Kasse an drei Tagen hintereinander nicht stimmte, schickte man ihn aus dem Kartenhäuschen, und er warf die Koffer vom Schiff auf die Mole und legte Gittertreppen an, bevor die Passagiere ausstiegen. Isti und ich, wir liefen zur Anlegestelle, um unserem Vater dabei zuzusehen, wie er vor einem blaßblauen Himmel Gepäck von einem Schiffsdeck nach unten warf und Achtung! rief. Manchmal blieb ein Koffer liegen, oder eine Tasche, und mein Vater brachte sie mit, weil sie niemand vermißte, und Isti und ich stürzten uns darauf, obwohl nie etwas dabei war, das wir brauchten oder das uns gefiel. Wir hängten Hosen und Röcke über die

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