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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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irgendwelche Zeiten zu nennen, und Isti freute sich über diese ausgedachten Erfolge. Ich glaube nicht, daß er wußte, was schnell und was langsam war, ob sechzig Sekunden für zwanzig Meter ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis waren.

    Manchmal wachte Isti nachts auf, lief die wenigen Schritte zur Dachluke, kletterte auf einen Stuhl und starrte eine Weile hinaus, um sicher zu sein, daß alles noch so war, wie es war, und auch morgens schaute er als erstes hinaus, nur um zu sehen, ob der See seine Farbe wiederhatte. Dann stürzte er die Treppe hinunter, ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen, und wenn ich durch die Dachluke sah, war Isti schon verschwunden. Ich folgte ihm, und unten am See fand ich sein Handtuch, das er in den Sand gelegt hatte, so wie es die anderen machten, wenn sie ans Ufer kamen, um sich zu sonnen. Isti konnte ich nicht sehen, er schwamm irgendwo da draußen, hinter dem Schilf, das sich kaum bewegte, hinter den Booten, von denen wir glaubten, daß sie mit ihrem Rost den See verschmutzten. Vielleicht schwamm er in der nächsten Bucht, vor einem fremden Haus, vielleicht lag er auf einer Sandbank, vergrub seine Hände, ließ Wellen über seinen Rücken laufen und spuckte ins Wasser.

    Es gab keinen Grund, keine Ausrede für Isti, nicht im Wasser zu sein, er kümmerte sich weder ums Wetter noch um Mahnungen oder Verbote. Er landete mit einem Sprung im See, überall und jederzeit, und die anderen fingen an zu sagen, festbinden müsse man ihn, an einer Leine. Isti sprang von einem Holzbrett, das einer von Virágs Freunden an ein Eisen geschraubt hatte und das ein paar Meter weit übers Wasser ragte, oder von der Wiese oder von der Leiter, die in den See führte. Er ließ sich rückwärts, vorwärts, mit den Füßen zuerst und kopfüber fallen, mit einer Drehung, mit einem Schrei oder lautlos, mal mit ausgebreiteten Armen, mal mit den Armen dicht am Körper. Er sprang so, als laufe er noch ein Stück in der Luft, und manchmal so, daß es aussah wie ein Unfall und wir uns erst beruhigten, wenn Isti rief, nein, es ist nichts. Isti ging früh am Morgen ans Wasser, wenn alle schliefen, und er war noch am Abend dort, wenn der See anfing, seine Farbe zu verlieren. Isti schwamm, ohne davon müde zu werden, und Virág und ich, wir schauten ihm vom Ufer aus zu. Um Mitternacht, auf dem Weg zurück, wenn Istis Haare noch naß waren, wenn er in Gärten kletterte, um für Virág und mich eine Handvoll Kirschen zu pflücken, und wir die Kerne durch die Luft spuckten, in immer höheren Bögen, dann blickte Isti hinab zum See und sagte, jetzt wäre die richtige Zeit zum Schwimmen.

    Wenn Virág nicht am Ufer stand und Istis Zeiten stoppte, wenn sie nicht hinter dem Haus im Schatten saß oder mit uns am Tisch, wußte keiner genau, wo sie war. Sie durfte allein ausgehen, wann und mit wem und wie oft sie wollte. Sie küßte ihre Mutter, ihren Vater zum Abschied und verschwand. Nachts oder früh am Morgen kam sie zurück vom Tanz, vom Kino, und bevor sie die Csepel über den Kieselweg rollte und vor der Sommerküche im Ständer einrasten ließ, stellte sie den Motor ab, um uns nicht zu wecken. Wenn sie nicht zum Tanz, nicht ins Kino ging, fuhr sie ohne Ziel durch die Weinberge, nach Tihany oder Fonyód, knatterte die Pfade hoch und wieder hinunter, folgte ihnen, wie sie die Hügel scheitelten. Nachts, wenn die Häuser im Dunkeln lagen und der See zu ruhen schien, warf Virág mit ihrem Motorrad das einzige Licht auf die Straße, und in den Dörfern unten am Wasser erzählte man, manchmal umkreise Virág den ganzen See, in weniger als drei Stunden. Ab und an fuhr sie ans Ufer, blieb auf ihrer Csepel sitzen, richtete den Scheinwerfer mit beiden Händen so, daß er einen gelben Kreis auf die Wellen setzte, und wartete darauf, bis sich etwas in diesem Ausschnitt änderte, weil ein Wind aufkam, Regen fiel oder weil ein Fisch ins Licht geschwommen war. Kein anderes Mädchen durfte das: ohne ein Wort gehen, in der Dunkelheit mit dem Motorrad um den See oder durch die Weinberge fahren, und auch Virág durfte es nur, weil sie Ágis einziges Kind war, das es geschafft hatte, erwachsen zu werden.

    Als Virág fünf Jahre alt geworden war, hatte ihre jüngere Schwester aufgehört zu essen und zu trinken, hatte über Nacht Fieber bekommen und war am ganzen Körper von einer Farbe gewesen, die aussah wie Feuer. Wie Feuer, mit dem man Ende des Sommers die Felder in Brand setzt, sagte Ági, und wenn sie ein Streichholz hätte

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