Der Schwur der Königin
Unentschlossenheit vor dem Altar in meinen Gemächern. Inständig flehte ich um Führung, um eine Antwort, die mir die Bürde der Selbstvorwürfe von den Schultern nahm. Zwar hatte Kastilien schon andere Königinnen gehabt, doch keine hatte lange erfolgreich regiert. Beging ich die Sünde des Stolzes, wenn ich glaubte, ich könnte das vollbringen, was noch nie einer Frau vor mir gelungen war? Das Königreich, das zu erben ich im Begriff stand, war ein brodelnder Kessel voller Laster und Doppelzüngigkeit; unser Schatzamt war dem Bankrott nahe, unser Volk versank in Elend. Viele, wenn nicht alle Granden – ganz zu schweigen vom Heiligen Vater in Rom und den fremden Großmächten – würden erklären, Kastilien benötige angesichts der Schwierigkeiteen, die uns drohten, die harte Hand eines Prinzen wie Fernando, dessen Mut und Kraft im Krieg geschmiedet worden seien.
Und ich wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, dass auch Fernando das sagen würde.
Doch so sehr ich mich bemühte, mich von meiner angeborenen Untauglichkeit zu überzeugen, rebellierte ein Teil meiner selbst dagegen. Ich hatte doch nicht die ganze Zeit gekämpft, nur um mich nun vor meiner Pflicht zu drücken! Als Prinzessin von Trastámara stand es mir wirklich zu, die Krone zu tragen; in meinen Adern floss das Blut einer Dynastie, die seit mehr als einem Jahrhundert über Kastilien herrschte. Meine Untertanen erwarteten von mir, dass ich den Thron bestieg, und sie würden es nicht dulden, statt meiner von Aragón regiert zu werden. Zögern oder Kompromisse würden als Zeichen von Schwäche verstanden werden. Nie durfte über mich gesagt werden, dass es Isabella von Kastilien an Entschlossenheit fehlte.
Doch während Beatriz mir die runde Haube so aufsetzte, dass der weiße Seidenschleier gleichmäßig herabwallte, und Inés vor mir kniete, um mir die Lederschuhe über die Füße zu stülpen, geriet ich unwillkürlich erneut ins Grübeln. Was würde passieren, wenn Fernando meinen Brief bekam, den ich ihm zu guter Letzt gesandt hatte?
Mit dröhnendem Läuten riefen die Glocken der Kathedrale die Menschen zu der mit Barrikaden gesicherten Straße, durch die ich mit meinem Gefolge zur Plaza Mayor reiten würde.
»Schnell!«, drängte Beatriz und verhakte noch eilig meinen schwarzen Damastumhang, ehe sie und Inés gemeinsam meine Schärpe anhoben und mir zum Hauptturm folgten. Dort warteten unter einem Winterhimmel, der so klar war, dass die Augen schmerzten, die Geistlichen und die für die Teilnahme an der Krönungsfeier ausgewählte Schar von Adeligen. Sie rissen in der Kälte des Morgens ihre Kappen herunter und präsentierten mit einer tiefen Verneigung ihre kahl gewordenen Häupter mitsamt ausgedünntem oder mit viel Aufwand gepflegtem Haarkranz. Ich erkannte Carrillo in seiner markanten scharlachroten Robe, Kardinal Mendoza in seiner mit Juwelen besetzten Soutane und Beatriz’ geliebten Andrés, wie immer in tadelloser Haltung in seinem schwarzen Samtgewand.
Ich zögerte. Bis auf mich und meine Hofdamen waren keine Frauen zugegen. Obwohl ich wusste, dass die Mütter, Frauen, Töchter und auch Geliebten dieser Männer längs des Weges in ihrem besten Aufputz warteten, um einen Blick auf mich zu erhaschen, fühlte ich mich, als hätte ein Lichtstrahl den Himmel durchschnitten, um auf mich allein zu fallen und mich vor allen anderen auszuzeichnen.
Ich ging weiter zu Canela. Der schnaubte schon ungeduldig unter seiner prächtigen Damastdecke, auf der die Burg und der Löwe der kastilischen Flagge prangten, und wirkte, als hätte er nicht übel Lust, die albernen Quasten an seinem Zaumzeug anzuknabbern.
Die Zügel hielt Don Chacón. Er trug ein steifes grünes Wams und hatte seinen dichten, dunklen Bart gestutzt. Seine braunen Augen begegneten den meinen, und ich sah sie vor Stolz leuchten. Seit Alfonsos Tod war er standhaft an meiner Seite geblieben, ein treuer Gefährte und bewährter Diener, auf den ich mich stets verlassen konnte. Seine Nähe machte mir Mut. Heute genoss er zu Ehren seiner Dienste das Privileg, mich durch Segovias Straßen führen zu dürfen.
Der Prozessionszug setzte sich in Bewegung. Vor uns marschierte Cárdenas, der ein gezücktes Schwert trug. Die Leute verstummten, wenn er an ihnen vorbeischritt, und ich bemerkte die Verblüffung in den Mienen jener Adeligen, die sich die heiß begehrten Plätze längs unserer Wegstrecke gesichert hatten. Das angeschwärzte Schwert – auf mein Drängen war es unter dem Haufen
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