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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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verrosteter Rüstungen in der Schatzkammer ausgegraben worden – war eine geheiligte Reliquie der Trastámara-Könige, Symbol für Gerechtigkeit und Macht, und noch nie hatte es eine Königin bei der Zeremonie ihrer Thronbesteigung getragen. Ich hob das Kinn und konzentrierte mich auf den Platz vor mir, wo vor der Kirche San Miguel mein Thron auf einem mit purpurnen Flaggen behängten Podest wartete.
    Chacón half mir behutsam von meinem Pferd herunter. Allein auf dem blutroten Teppich auf dem Podest stehend, mir gegenüber Tausende von Segovianern, hörte ich die königlichen Banner im Wind knattern und den Herold in die diamantklare Luft rufen: »Kastilien! Kastilien und León für Ihre Majestät, Doña Isabella, Herrin über diese Reiche, und für Seine Hoheit, Don Fernando, ihren Gemahl!«
    Mit anschwellender Einstimmigkeit, die mir die Tränen in die Augen trieb, wiederholten die Menschen diese Worte.
    Dann erklomm Mendoza das Podest, die Bibel vor sich her tragend. »Majestad« , dröhnte er, »nehmt Ihr diesen Aufruf an und schwört Ihr, die heiligen Pflichten, die Gott Euch übertragen hat, zu erfüllen?«
    Ich legte die Hand auf die Heilige Schrift und öffnete schon den Mund, um meine sorgfältig eingeübte Ansprache zu halten. Doch etwas hinderte mich daran. Unter den Tausenden von Zuschauern stach mir eine geisterhafte Gestalt ins Auge, ein abseits stehender Mann mit lodernden blassen Augen, das Gesicht weiß wie die Wand …
    Ich konnte nicht wegsehen.
    »Majestät?«, murmelte Mendoza. »Euren Eid, bitte.«
    Ich blinzelte. Als ich wieder hinschaute, war die Gestalt verschwunden. Mit einem Ruck wandte ich den Blick von der Stelle ab, schluckte und sagte die Formel mit leicht bebender Stimme: »Ich nehme die mir erwiesene große Ehre an und schwöre bei diesen heiligen evangelios , den Geboten unserer Kirche zu gehorchen, den Gesetzen dieses Reichs zu folgen und das Wohlergehen aller meiner Untertanen zu schützen, diese Reiche gemäß der Sitte meiner ruhmreichen Vorfahren zu mehren und unsere Gebräuche, Freiheiten und Vorrechte als Eure nach dem Gesetz gesalbte Königin zu wahren.«
    Ein Rauschen wie von den Flügeln eines über unseren Köpfen schwebenden gewaltigen Falken surrte über den Platz, als alle auf die Knie sanken. Die Adeligen traten einer nach dem anderen vor, um ihren Treueeid zu leisten. Die Hofbeamten händigten Cabrera ihre Amtsstäbe aus, womit sie den Wechsel des Herrschers bestätigten, und knieten vor Mendoza nieder, während dieser über meinem Kopf das Kreuzzeichen beschrieb.
    »Gott segne Königin Isabella!«
    Und meine Untertanen, das kastilische Volk, brüllten ihre Zustimmung in den Himmel.
    Es war nach Mitternacht, als ich endlich in meine Gemächer zurückkehrte. Meine Füße waren schon ganz wund. Vom ständigen Lächeln tat mir das Gesicht weh. Nach einem feierlichen Te Deum in der Kirche hatte ich mich zum Speisen in den Alkazar begeben und dann meinen Platz auf dem Podest eingenommen, um stundenlang eine endlose Schlange von Gratulanten zu empfangen, darunter auch die misstrauischen Granden, die sich bei der Verbeugung vor mir gefragt haben mussten, worin mein nächster Zug bestehen würde.
    Ich hatte mich in ihren Pupillen widergespiegelt, als stünde ich vor einem Spiegel. Ich betrachtete die weiße Hand, die ich ihnen entgegenstreckte, jeder Finger mit Ringen geschmückt, das schimmernde goldene Gewebe des Ärmels, der den rundlichen Arm einer unerfahrenen Dreiundzwanzigjährigen bedeckte. Ich sah ihre Verachtung im Zucken ihrer Münder, die ihre honigsüßen Huldigungen in Hohn verwandelte.
    In ihren Augen würde ich erst dann eine Königin sein, wenn ich mich als ihnen überlegen erwiesen hatte.
    Der bloße Gedanke daran erschöpfte mich. Kaum hatten mich meine nicht minder müden Vertrauten entkleidet und waren mit trüben Augen hinausgewankt, um noch die Kerzen auszublasen, als ich mich im Bett auch schon zusammenrollte und die Augen schloss. Ich muss nach meinem Kind senden, dachte ich noch. Ich wollte meine Isabél bei mir haben.
    Bevor mich der Schlaf umfing, flüsterte ich: »Fernando, ich warte. Komm heim.«
    Vom Schnee bestäubt und steif im Wind wehend, hingen die bunten Flaggen und Teppiche zur Begrüßung meines Gemahls von den Balkonen herab. Kaum war die Nachricht eingetroffen, dass er unterwegs war, hatte ich Erzbischof Carrillo, Admiral Enríquez und mehrere hohe Granden gebeten, ihn auf halbem Weg zu empfangen und mit der seinem Rang

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