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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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Außer sich vor Zorn machte Alfonso einen Ausfall aus dem benachbarten Toro und deckte uns mit einem Pfeilhagel ein, der dazu diente, uns abzulenken, während sich sein einfallsreicher Sohn unbemerkt an unseren Grenzpatrouillen vorbeischlich. Ich war fassungslos vor Wut, denn er kehrte wenig später mit Verstärkung aus Portugal zurück. Plötzlich befand sich die Armee, die wir in acht Monaten mühselig zusammengestellt hatten, von allen Seiten von einem Meer aus Feinden umschlossen.
    Fernando ordnete einen hastigen Rückzug hinter Zamoras massive Mauern an. Sofort sandte ich Reserveschwadronen aus, damit sie die Portugiesen drangsalierten und in die Flucht zurück nach Toro schlugen. Ich hatte gehofft, Fernando ein Begleitfeuer für einen Ausbruch zu verschaffen, doch nach drei Wochen mit Scharmützeln und hitzigen über die Stadtmauern hinweg ausgetauschten Schmähungen war hinreichend klar, dass Alfonso, der bei unerträglicher Kälte in Toro gefangen war, zwar nichts gewann, wir aber auch nicht. Schlimmer noch, da Fernando seinerseits in Zamora festsaß, wo die Portugiesen zuvor sämtliche Speisekammern geleert hatten, begann er bald, unter Hunger zu leiden. Zu allem Überfluss schwand auch noch das Gold, das wir von der Kirche geliehen hatten, beängstigend schnell. Der Austausch von Botschaften war so gut wie unmöglich, aber ein-, zweimal gelang es Fernandos Kurieren trotzdem, eine Nachricht zu mir zu schmuggeln.
    Wir werden noch unsere Pferde schlachten müssen , schrieb er, wenn nicht bald ein Durchbruch gelingt .
    Ich wusste, dass er genau das wirklich tun würde, bevor er aufgab. Sofort erteilte ich den Befehl, jede Burg in einem Umkreis von hundert Meilen um Toro und Zamora entweder zu besetzen oder zu schleifen. Als Nächstes stellte ich an jeder Kreuzung Garnisonen auf, die den Portugiesen sämtliche Fluchtwege versperrten – mit Ausnahme der Route, auf der sie ins Land gekommen waren. Des Weiteren erließ ich eine Verfügung, die jedem – ob Mann, Frau, Kind, Gewöhnlicher oder Grande –, der es wagte, den Eindringlingen auch nur eine Brotkrume anzubieten, den Tod durch den Strang androhte.
    Nachts verfasste ich Petitionen an sämtliche Adeligen und Städte sowie Verlautbarungen an das Volk, stets mit der Absicht, jeden Gedanken an einen Kompromiss mit den Portugiesen auszuschließen. Wenn schließlich die Kerzen flackerten und ich Krämpfe in den Fingern bekam, ging ich in die Kapelle und kniete mich vor den Altar. Bitten brachte ich nicht vor. Ich feilschte nicht und versprach nichts. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich von dem tiefen Schweigen umhüllen, durchdringen.
    Schlaf fand ich kaum. Wenn mir dennoch die Augen zufielen, träumte ich von unserem alten Schlachtruf »Santiago!«, übertönt vom Klirren von Schwertern, dem Wiehern von Pferden, dem Klatschen der von den Stiefeln zu einem Morast aus Schlamm und Blut aufgewühlten Erde. Keuchend und die Fäuste in die Decken gekrallt, fuhr ich hoch.
    Ich konnte ihn verlieren, dachte ich. Fernando konnte sterben.
    An einem stürmischen Märzmorgen, fast zwei Monate, nachdem Fernando Zamora gestürmt hatte, führte Inés einen Boten zu mir herein. Er war noch ein Junge von höchstens zwölf Jahren. Als er sich, vom Regen bis auf die Haut durchnässt, zu meinen Füßen auf die Knie warf, stach mir plötzlich ein eigentlich völlig nebensächlicher Umstand ins Auge: Sein Umhang war so verschmutzt, dass seine Farbe nicht mehr zu erkennen war.
    »Majestad« , flüsterte er, vor Erschöpfung heiser, und streckte mir ein mit Schlammspritzern und rostfarbenen Flecken übersätes Stück Papier entgegen.
    Als ich es ergriff, musste ich mich daran erinnern, das Atmen nicht zu vergessen.
    Ein Siegel fehlte. Da ich Inés’ besorgten Blick im Rücken spürte, stellte ich mich in das fahle Licht beim Fenster. Ich ließ noch einen Moment verstreichen. Was immer in diesem Schreiben stand, ich durfte keine Schwäche zeigen. In Ohnmacht fallen oder weinen kam nicht infrage. Ich musste stark sein. Fernando würde nichts anderes von mir erwarten, wie auch ich von ihm.
    Ich entfaltete den Brief. Er bestand aus vier Wörtern:
    Der Sieg ist unser.
    Ich ritt sofort los, ihm entgegen. Inzwischen hatte ich erfahren, dass Alfonso den Rückzug angetreten hatte, nachdem ich ihn von den Nachschublinien abgeschnitten hatte und den Portugiesen aufgrund der Zerstörung sämtlicher Burgen in der Umgebung jede mögliche Zuflucht verwehrt worden war. Fernando verfolgte ihn,

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