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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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Burgen furchterregende Symbole für die ungeheure Macht des Hochadels, dessen Reichtum und aus Vasallen gebildete Heere die Mittel des Königs mit Leichtigkeit übertrumpften.
    Doch während wir durch die im Schatten der Zitadellen kauernden Weiler zogen, wo die Leichen von Banditen mit abgehackten Händen und Füßen an Galgen baumelten, befiel mich heftiges Unwohlsein. Auf den Feldern plagten sich hohläugige Bauern; von Schmutz und Fliegen bedecktes, ausgemergeltes Vieh knabberte an dornigem Gestrüpp; Kinder mit vergilbter Haut arbeiteten an der Seite ihrer Eltern; sogar Greise in zerfetzten Kleidern hockten vor Haustüren und kardätschten Wolle oder quälten sich mit Schürholzbündeln ab. Die Verzweiflung war mit Händen zu greifen, als zöge sich jeder Tag endlos dahin in einem Leben, das keine Freude bereithielt, keinen Trost, keinen Frieden.
    Zunächst dachte ich, die Pest hätte diesen Landstrich heimgesucht. Bei jedem Auftauchen von Gerüchten über einen neuerlichen Ausbruch dieser gefürchteten Seuche hatten wir immer sofort die Tore von Arévalo verriegelt und uns in der Burg verschanzt, bis die Gefahr vorüber war. Folglich hatte ich keinen Begriff vom Gesicht dieser Krankheit.
    Als ich schließlich zu fragen wagte, warum diese Leute so armselig aussahen, sagte Villena: »Sie verhungern wie alle ihresgleichen. Die Faulheit ist die Seuche des campesino . Dies sind nun einmal keine Zeiten des Überflusses; Steuern müssen entrichtet werden. Wer das nicht tut, kennt den Preis, den er zu zahlen hat.«
    Er deutete auf einen Galgen, an dem eine verwesende Leiche hing. »Wir dulden keinen Aufruhr in Kastilien.«
    Girón lachte dröhnend. Ich starrte Villena fassungslos an. »Aber wir sind doch gerade durch Brachland geritten. Warum können die Armen dort nicht Früchte anbauen und damit ihren Unterhalt bestreiten?«
    »Eure Hoheit müssen noch viel lernen«, erwiderte Villena kühl. »Das, was Ihr als ›Brachland‹ bezeichnet, ist Eigentum der Granden. Es dient ihrem Vergnügen und nicht dazu, dass irgendein Bauer mit Hacke, Ochsen und einer Brut von Rotznasen daherkommt und es nach eigenem Gutdünken aufreißt.«
    »Das ganze Land? Das alles gehört den Adeligen?«
    Bevor Villena antworten konnte, fauchte Girón: »Es müsste noch mehr sein. Aber wir haben eben die Aufgabe, diese Rattenlöcher von Städten auf unsere Kosten mit unseren eigenen Soldaten zu beschützen. Das war ein fauler Kompromiss, zu dem sie uns gezwungen haben, weil der König gesagt hat, wir würden von ihnen Pachtzinsen bekommen.« Er drosch sich mit der Faust in die Handfläche. »Ich habe Nein gesagt; sollen sie doch selbst auf sich aufpassen; aber dann bin ich von diesen Feiglingen im Kronrat überstimmt worden.«
    Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen schoss, und wandte mich von ihm ab. Beatriz zog die Augenbrauen hoch, als wollte sie sagen, dass dies Dinge waren, die wir unmöglich verstehen könnten. Doch ich verstand sehr wohl. Mir fiel wieder ein, was ich von meiner Mutter gelernt hatte: über die unersättliche Gier der Granden und auch über die Bereitschaft meines Halbbruders, alles zu tun, womit er sie sich vom Leib halten könnte. Sie hatte nicht übertrieben – ganz offenbar war ihnen das Reich ausgehändigt worden.
    Noch nie war mir Arévalo so weit entfernt erschienen wie in diesem Moment. Fast hätte ich vor Erleichterung gejubelt, als ich am Horizont die schemenhaften Bergrücken der östlichen Sierra de Guadarrama aufragen sah, die die vom Licht der untergehenden Sonne rot gefärbten Turmkuppeln Segovias umrahmten. Dort, zwischen den Flüssen Eresma und Clamores, thronte die Stadt Segovia in all ihrer Pracht hinter befestigten Mauern und ließ sich von dem Alkazar, der stolz auf seinem Felsvorsprung thronte, beschützen. Als wir uns einem der fünf Stadttore näherten, war das Erste, was mir ins Auge stach, das Gerüst um den wuchtigen, rechteckigen Wohnturm, den Torre de Homenaje.
    »Der ehrwürdige Erzbischof hat Euch eine Unterkunft im casa real nahe bei der Festung herrichten lassen«, erklärte Villena. Mit dramatischer Geste stieß er einen resignierten Seufzer aus. »In der Festung selbst stehen Euch zu meinem Bedauern keine Räume zur Verfügung, da der König die üblichen Restaurierungsmaßnahmen durchführen lässt und die freien Gemächer vom Gefolge der Granden benutzt werden.«
    Ich verbarg meine Erleichterung, obwohl mir keineswegs entging, wie Beatriz enttäuscht die Lippen schürzte, da wir

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