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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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antwortete mit einem zerstreuten Nicken, woraufhin Carrillo kurz den Kopf vor mir neigte und sich ohne jedes weitere Wort entfernte. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, als dass sein abrupter Abgang an seiner Abneigung gegen die Königin liegen musste. Ich starrte ihm nach, ohne gewahr zu werden, dass Beatriz sich an mich heranpirschte, bis sie mir ins Ohr flüsterte: »Ich muss Euch etwas erzählen.«
    »Nicht jetzt«, murmelte ich. »Suche Don Chacón. Ich weiß nicht, wo er steckt, und Alfonso sollte nicht zu lange mit der Königin und ihren Hofdamen allein gelassen werden.«
    Als ich neben Enrique saß und Fernando ihm gegenüber Platz genommen hatte, stellte ich fest, dass ich zitterte. Das musste an der Müdigkeit und dem Hunger liegen, sagte ich mir; in Arévalo hätte ich um diese Zeit längst gegessen, meine Gebete gesprochen und mich in meine Gemächer zurückgezogen. Doch als die ersten Speisen aufgetragen wurden – Wildschwein mit Artischockenherzen und gebratenes Wildbret in Rioja-Soße – brachte ich kaum einen Bissen hinunter. Dafür war ich viel zu sehr damit beschäftigt, verstohlen die Königin zu beobachten, wie sie Kelch um Kelch Wein in sich hineinschüttete, bis ihr Gesicht leuchtend rosa anlief, und wie sie sich über Alfonso beugte, ihm die Wangen tätschelte und ins Ohr flüsterte. Am Tisch daneben saß der Bruder des Marquis, Pedro Girón, ganz allein und verschlang eine Keule. Blutroter Bratensaft lief ihm über das Kinn und er hielt herrisch seinen Kelch zum Nachfüllen hoch. Von Villena fehlte indes jede Spur. War er Carrillo gefolgt?
    »Das alles muss dir sehr eigenartig vorkommen«, sagte Enrique unvermittelt. Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte mich zu ihm um. »Diese Hemmungslosigkeit. Bei euch in Arévalo hat es nicht annähernd so viel gegeben, ist mir gesagt worden. Ihr sollt ein genügsames Leben geführt haben, du, dein Bruder und deine Mutter.«
    »Allerdings. Aber wir hatten alles, was wir benötigten. Genügsamkeit kann ein Segen sein.«
    »Ich habe schon gesehen, dass du lieber Wasser trinkst«, bemerkte er mit einem Blick auf meinen Kelch, den ich mit der Hand abgedeckt hatte, um den Pagen mit seiner allgegenwärtigen Weinkaraffe am Einschenken zu hindern. »Trinkst du denn gar keinen Wein?«
    »Ich bekomme oft Kopfschmerzen davon, selbst wenn ich ihn verdünne.« Während ich ihm antwortete, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Fernando sich vorbeugte und mich an Enrique vorbei mit beunruhigender Intensität anstarrte.
    »Ich mag auch keinen Wein«, gestand Enrique. »Eigentlich trinke ich nur welchen bei förmlichen Anlässen. In Segovia gibt es ja so viel reines Wasser; es kommt frisch und kalt aus der Sierra. Früher floss es durch den Aquädukt aus der Zeit der Römer, aber der ist jetzt verfallen. Ich wollte ihn schon immer wiederherstellen lassen.« Er verstummte und begann, auf seiner Lippe zu kauen. Abrupt sagte er dann: »Ich möchte mich bei euch entschuldigen. Ich habe mich nie um dein und deines Bruders Wohlergehen gekümmert, wie ich das hätte tun sollen. Es ist nicht so, dass ihr mir egal wart. Aber wenn man König ist … ist alles auf einmal ganz anders. Jetzt verstehe ich unseren Vater so viel besser als zu seinen Lebzeiten.«
    Ich schaute ihm in die Augen. »Wie meint Ihr das?«, fragte ich leise.
    »Unser Vater hat mir einmal gesagt, er hätte sich gewünscht, er wäre als Gemeiner geboren worden, dann hätte nicht das Gewicht der ganzen Welt auf seinen Schultern gelastet.« Ein trauriges Lächeln flackerte über Enriques Lippen. »Oft fühle ich mich dieser Tage ganz genauso.«
    Aus dem Mund eines Königs klang das äußerst merkwürdig. Monarchen herrschten aufgrund des göttlichen Rechts und waren Gott verantwortlich. In einem solchen Rang geboren zu werden, das war ein großes Privileg, kein Fluch, den man sich fortwünschen durfte. Plötzlich fiel mir meine letzte Begegnung mit Enrique wieder ein, das eigenartige Lächeln in seinem Gesicht, als ich unseren Vater küsste, sein eifriges Gebaren, als er sich seinerseits über den Sterbenden beugte. Hatte ich mir diesen Eifer denn lediglich eingebildet? Was, wenn er stattdessen besorgt gewesen war? In den Augen eines Kindes kann beides gleich aussehen, und Enrique wirkte auf mich nicht wie ein Mann, der sich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit drängte.
    »Und deswegen bin ich so froh, dass du gekommen bist«, fuhr er fort. »Geschwister sollten zusammen sein, und wir haben so wenig Zeit

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