Der Schwur der Königin
im Kloster Santa Ana von Ávila Zuflucht gesucht. Davor hatte ich noch die Leiche meines Bruders ins Franziskanerkloster von Arévalo begleitet und dort in Tücher gehüllt, während die Mönche die Totenvesper sangen. Nachdem er vorläufig in einer Nische beigesetzt worden war und ich das noch zu errichtende Grabdenkmal bezahlt hatte, reiste ich zurück zur Burg meiner Mutter, um ihr die Nachricht beizubringen. Sie nahm sie mit ausdruckslosen Augen zur Kenntnis, wandte sich ab und ging wortlos in ihr Gemach zurück. Ich wusste, dass die Trauer erst später kommen und sie in einen Abgrund der Trostlosigkeit stürzen würde. Also hatte ich Beatriz vorsorglich die Weisung erteilt, dass meine Mutter nicht einen Augenblick allein gelassen werden durfte, nicht einmal beim Schlafen, damit sie sich nichts antun konnte.
Was mich betraf, war es mir egal, dass Ávila unter Quarantäne stand, Hauptsache, ich entkam der Burg. Wie sich erwies, waren vor allem die Armenviertel der Stadt von der Seuche betroffen. Und die Schwestern empfingen mich mit offenen Armen, denn sie spürten – wie das in jenen Zeiten des Aufruhrs und Kummers wohl nur Nonnen konnten –, dass ich dringend einen Ort der Ruhe und Einsamkeit brauchte, wo ich mich besinnen konnte.
Geschützt von verriegelten Toren, legte ich weiße Trauerkleider an und verzichtete auf all meine königlichen Privilegien. Mein Leben sollte demjenigen der Nonnen gleichen und dem täglichen Rhythmus des Glockengeläuts unterworfen sein. Die Benommenheit, die mich nach dem Verlust meines Bruders befallen hatte, wich bald tiefer Trauer. Unablässig kehrten Erinnerungen an ihn zurück, an die Zeit, als wir gemeinsam in Arévalo aufwuchsen, daran, wie ihn die natürliche Welt um ihn herum in ihren Bann zog, an den Jungen, der sich so sehr für die Jagd begeisterte und die natürliche Gabe hatte, Pferde und Hunde zu beruhigen, und schließlich an den rebellischen, verlorenen Prinzen, der er nun für immer bleiben würde.
Zu guter Letzt lernte ich zu akzeptieren. In mir setzte sich die Erkenntnis durch, dass ich einen Weg finden musste weiterzuleben, auch wenn dies meine schwerste Aufgabe war. Doch als der schreckliche Schmerz langsam verebbte, lag ich in den Nächten schlaflos im Bett und grübelte darüber, was ich tun sollte, kämpfte gegen die lähmende Angst an, die mich befiel, sobald mir Carrillo oder Enrique in den Sinn kamen. Während der eine danach trachtete, seine Macht über mich zu festigen, stellte der andere eine Armee zusammen, um mich zu stürzen. Und unabhängig von den beiden schmiedete Villena, zusammen mit den anderen Granden, ein Komplott zu meiner Vernichtung.
Ich hatte genug über unsere Geschichte gelesen, um zu wissen, dass in Kastilien, anders als in Aragón, die weibliche Thronfolge zwar nicht verboten war, aber niemand einer Frau die Fähigkeit zu herrschen zutraute. Die wenigen, die es zur Königin gebracht hatten, waren auf gnadenlosen Widerstand gestoßen und hatten alles opfern müssen, um ihre unsichere Machtposition zu halten. Ein glückliches Leben hatte letztendlich keine von ihnen geführt; für das Recht, sich Königin nennen zu dürfen, hatten sie alle einen hohen Preis gezahlt.
War es das, was Gott von mir verlangte?
Diese Frage trieb mich um. Wenn ich meinem Recht auf Enriques Erbe entsagte und mich stattdessen an den geleisteten Eid gegenüber Joanna bei ihrer Einsetzung als Prinzessin hielt, würde ich Kastilien dem Chaos und der Gier von Strauchdieben wie Villena ausliefern. Nach Enriques Tod würden sie Joanna auf den Thron setzen, sie an irgendeinen Prinzen verheiraten, den sie nach Belieben manipulieren konnten, und das Land plündern wie andere ihre Speisekammer, bis nichts mehr übrig blieb. Doch wenn ich mich für den Kampf entschied, würde ich Joanna für den Rest ihres Lebens mit dem Stigma der Unehelichkeit brandmarken. Ich würde denselben Mächten entgegentreten, die meine Brüder zu Feinden gemacht und Kastilien so viel Leid aufgebürdet hatten.
Mit keiner dieser Möglichkeiten würde ich mein Glück finden. Doch nach einem Monat des Betens und der inneren Aufgewühltheit, in dem ich jede Woche aufs Neue den vor der Klosterpforte versammelten, hohen Adeligen den Einlass verweigert hatte, gelangte ich endlich zu einer unvermeidlichen Tatsache.
Was ich wollte, hatte nichts zu bedeuten. Nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand.
Ich blickte die Äbtissin an, die sich liebevoll um mich gekümmert hatte, ohne mir auch nur
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