Der Schwur der Königin
Weihnachtszeit kam mit heulenden Winden und Schneestürmen, die einem jede Sicht raubten und die Welt außerhalb unserer Tore in eine undurchdringliche weiße Leere verwandelten. In der Burg schichteten wir Holzscheite in den Kaminen aufeinander, tauschten selbst gemachte Geschenke aus und vertrieben uns die Zeit mit Spielen und Musik. Kurz nach dem Tag der Heiligen Drei Könige erlitt meine Mutter wieder eine ihrer Krisen – die erste seit unserer Rückkehr. Sie behauptete steif und fest, sie hätte Geister durch die Korridore wandeln hören, und eines Nachts floh sie barfuß im Nachthemd auf den Wehrgang. Sie wäre wohl erfroren, wäre Doña Clara nicht noch wach gewesen und ihr ins Freie gefolgt. Gleichwohl bedurfte es unser aller Überredungskunst – und am Ende Chacóns schierer Gewalt –, um sie zurück ins Innere der Burg zu holen. Mittlerweile war sie vor Kälte blau angelaufen und hatte Frostbeulen an Händen und Füßen.
Danach brachten wir außen an ihrer Tür ein Schloss an, und ich schlief in ihren Gemächern auf einer Pritsche, falls sie in der Nacht aufwachte. Entgegen meiner Hoffnung, diese Krise würde wie alle anderen von selbst vorübergehen, verschlimmerte sich der Zustand meiner Mutter zusehends. Als wir versuchten, ihre Gliedmaßen zu behandeln, wehrte sie sich heftig und behauptete, sie habe es wegen ihrer Sünden verdient, Hände und Füße zu verlieren. Dabei erregte sie sich so sehr, dass wir ihr mit Gewalt Beruhigungstränke einflößen mussten. Als es vorbei war, saß sie stumm da und starrte ins Leere, während ich sie mit allen Mitteln dazu zu bringen versuchte, Löffel für Löffel ihren Brei zu essen, damit sie nicht verhungerte.
Ihr Zustand musste Alfonso an unsere Kindheit erinnert haben, als er schon einmal mit einer Mutter, die er nicht verstehen konnte, unter einem Dach gelebt hatte. Wie damals flüchtete er sich nun so oft wie nur möglich trotz Wind und Schnee ins Freie, besserte die Gehege für die Tiere aus, säuberte die Stallungen und heizte sie so gut wie möglich mit Kohlenbecken, striegelte die Pferde und hielt sie in Bewegung. Sobald es das Wetter zuließ, nahm er die Jagd wieder auf, bisweilen von morgens bis abends, um beladen mit Wachteln, Rebhühnern und Hasen zurückzukehren.
Im April wurde ich siebzehn Jahre alt – und wie in den Jahren davor verbrachte ich einen ruhigen Geburtstag. Seit Monaten hatte meine Mutter ihre Gemächer nicht mehr verlassen und daher nichts vom Gesang der Vögel, den Boten des sehnsüchtig erwarteten Tauwetters, mitbekommen. Um etwas zu tun zu haben, beaufsichtigte ich den Frühlingsputz in der ganzen Burg. Auf mein Geheiß hin mussten die Mägde die ausgebleichten Wandbehänge und Teppiche ausklopfen, die Wäsche in Thymianwasser reinigen und die muffigen Oberkleider lüften. Alle Böden ließ ich schrubben, und auch die Abtritte entgingen nicht meiner Aufmerksamkeit. Stets arbeitete ich an der Seite der Bediensteten mit, obwohl Doña Clara mich mahnte, dass ich mir die Hände wund scheuern würde. Jeden Abend fiel ich erschöpft ins Bett, zu müde, um zu träumen.
Im Juni brachte ein Kurier Nachrichten von Carrillo. Den ganzen Winter über war Enrique vom Pech verfolgt gewesen und hatte auf dem Pferd durch Kastilien ziehen müssen, darauf angewiesen, um Zuflucht zu bitten, wo immer ihm gerade eine Tür geöffnet wurde. Doch zu Frühlingsanfang war er wieder in Madrid aufgetaucht, und auf einmal weigerte er sich, seine Niederlage einzugestehen. Juana hatte er praktisch als Gefangene auf eine isolierte Burg geschickt, als er herausgefunden hatte, dass sie erneut guter Hoffnung war, und zwar nicht von ihm. Daraufhin hatte er Carrillo mitgeteilt, dass er immer weniger glaubte, der Vater von Joanna zu sein. Er sei bereit, Alfonso zu seinem Erben zu bestimmen, aber nur wenn Alfonso darauf verzichtete, sich König zu nennen, solange Enrique lebte. Um Enriques Stellung zu stärken, hatte Villena den Großteil der Granden bestochen, damit sie sich auf die Seite des Königs schlugen, und Pamphlete unter dem Volk verteilen lassen, die Alfonso zum Hochverräter und Usurpator erklärten. Carrillo warnte davor, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis das Land erneut auseinanderbrach. Er wolle jetzt Alfonso nach Toledo eskortieren, wo sie ihre Verteidigung planen sollten.
Schon wieder zeichnete sich ein Bürgerkrieg ab, aber diesmal würde ich nicht am Rande bleiben. Als Carrillo mit seinen Soldaten eintraf, stand ich mit Beatriz im
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