Der Schwur der Venezianerin
Leben eingegriffen.
Und nun nahmen die Heroen der Kunst, die Götter des Malerhimmels, als Akt einer vollendeten Krönung das Mädchen auf ihre Schultern und trugen es empor in die Sphären ihres eigenen Ruhmes. Und das junge Modell verstand es, sich in Szene zu setzen, wusste schon jetzt, was auf die Männer wirkte. Rechts und links auf den Schultern der großen Künstler sitzend, schlug sie schamhaft die Beine übereinander, beugte sich ein wenig vor. Ihr wohlgeformter Kopf mit einer kleinen goldenen Krone auf den blonden Locken reckte sich empor und die blauen Augen sprühten die Funken eines Feuerwerks. Erneut vergaßen die Venezianer die Vornehmheit in der Haltung, strömten näher an die Akteure heran, wollten mehr, als nur betrachten. Mit der Schönsten auf ihren Schultern legte selbst Tizian seinen asketischen Ernst beiseite und reichte seine freie Hand dem Kollegen, der sie mit einem Schmunzeln ergriff.
Schon begannen die Sammler und nicht nur diese zu feilschen, zu welchem Preis sie bereit wären beide Gemälde zu erwerben, da erhob Vater Cappello, der inzwischen zu seinen Helden auf das Podium getreten war, seine Stimme.
„Diese beiden jüngsten Werke der größten Söhne unserer Stadt“, so ließ er sich in dem aufbrausenden Jubel vernehmen, „sind die Gabe, die sich Bianca zum Geburtstag gewünscht hat. Sie sind mein Geschenk an meine über alles geliebte Tochter.“
Das Mädchen war nicht nur um ein Jahr älter geworden. Es hatte es ebenso leicht verstanden, diesen wichtigen Jahrestag zu garnieren und mit einem unendlichen nicht bezahlbaren Zwillingswerk und mit einem nicht wiederholbaren Ereignis anzureichern. Nur wenige unter den Gästen erkannten die Bedeutung dieses Geschehnisses, die Symbolkraft dieser Schöpfertätigkeit, die in den Werken Biancas lag.
Manch ein Kunstbeflissener drängte sich im Verlauf des Abends an die Staffeleien heran und betrachtete voller Lust die großartigen Gemälde. Sie verzichteten auf Wein und erlesene Speisen, wenn sie sich nur in der Nähe der Kunstwerke aufhalten konnten.
Aber nun ging diesmal enttäuschtes und schmerzliches Raunen durch die Gästeschar. Zwei groß gewachsene schwarze Männer erschienen, deckten die beiden Bilder ab und nahmen sie von der Staffelei. Auf ihrem Weg in den Palazzo mit den Bildern beantworteten sie manche Frage. Immer wieder lautete ihre Antwort gleich. „Es geschieht auf Wunsch der Hausherrin Lucrezia.“
Pietro war über alle Maßen enttäuscht. Er zählte nicht zu den ganz Großen und hatte es noch nicht geschafft gehabt, sich bis nach vorne an die Bühne zu drängeln. Bevor er sie erreicht hatte, griff Lucrezias Anweisung. Sie ließ verbreiten, es geschehe, um die Bilder zu schützen.
Pietro vernahm später per Zufall, als ein Gast Bartolommeo Cappello fragte, wo die Jahrhundertbilder wären, von der Unwissenheit des Hausherrn. Nachträglich stimmte er der Anordnung zu, als er dem strengen Blick Lucrezias begegnete.
Wie auch immer, Bianca war auf den Schild der Kunst gehoben worden, was ihr selbst eine bösartige Stiefmutter nicht mehr nehmen konnte.
Die Bürger der Stadt Venedig vernahmen am nächsten frühen Morgen das Ereignis wie ein Wunder, das sich im Hause Cappello zugetragen hatte. So machte schon bald neben diesem ersten Wunder eine neue Episode die Runde. Ein Zauber, der geschehen war, erregte die Gemüter, oder war es nur die Sucht der einfachen Bürger, sich an dem göttlichen Ereignis im Palazzo Cappello in irgendeiner Form zu beteiligen?
Die Bänkelsänger und die Komödianten priesen das zweite Geheimnis der Bianca Cappello. Niemand zweifelte es an. Zuerst hatten es nur einige gesehen, bald wurden es mehr, schließlich stimmten alle in den Lobgesang ein, weil alle angeblich den himmlischen Thron auf der Piazzetta miterlebt hatten.
Und so war diese Geschichte entstanden. An einem der nächsten Sommermorgen nach dem großen Fest, der Platz am Ufer des Canal Grande lag noch im Nebel der aufsteigenden Feuchtigkeit, wurde sie wahrgenommen. Sie thronte auf dem Rücken des vergoldeten geflügelten Löwen, hoch oben auf der Markussäule, die an der Mole stand. Die Menschen bestätigten sich untereinander, dass sie genau an dieser Stelle die junge Bianca im Morgendunst wahrgenommen hätten. Schön sei sie gewesen, so schön, wie der erste leuchtende Stern am Abendhimmel. Sie habe auf dem Kopf eine Krone gehabt, in der sich die ersten Sonnenstrahlen spiegelten. Zusammen mit dem Gold der Krone und des Löwen
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