Der Schwur der Venezianerin
Reizen.
Um die Neugierde der noch jungen Bianca zu befriedigen, verlegten die bedeutenden Damen manch heiteres Streitgespräch vom Abend auf den Nach- oder gar Vormittag, da das Mädchen des Abends heimzukehren hatte.
„In nichts steht eine Frau in Wissen und Können einem Manne nach. Doch besitzt sie darüber hinaus mehr Waffen, als den Signori zuteilwerden könnten“, Cassandra beugte sich bedeutungsschwanger zu der jungen Frau, deren Ruf als Reiterin auf dem Löwen des Heiligen Markus ihr lieb geworden war.
„Wie das?“, zweifelte Bianca. „Ist eine Frau nicht schwach, nicht kleiner und unbedeutender als jeder Mann?“
„Das ist es, was die Männer, manchmal die Väter, vergessene Weiber und vielleicht ein Mönch den Frauen vorgaukeln“, Cassandra setzte sich wieder aufrecht in ihren mit einem Lederkissen gefütterten Stuhl zurück. Auf ihr feines Gesicht fiel ein Bündel weicher Sonnenstrahlen, die sich auf dem Wasser des Canal Grande reflektierten und erst dann den großen Raum durch das Glasfenster im Palazzo Gritti erhellten. Die kleine Gruppe um Signora Gritti hatte im Halbrund auf ihren Stühlen Platz genommen. Kein Tisch und kein Strick- oder Häkelzeug störten ihre feinsinnigen Gespräche.
Von den überzeugenden Worten zeigte sich die junge Frau aus dem Hause Cappello überrascht.
„Verzeiht, Signorina Varona“, fragte sie zweifelnd, „warum aber bleiben dann so viele junge Frauen so unendlich lange in dem Palazzo ihrer Mütter und Väter, warum noch immer können sich Frauen nicht einen Gatten nach ihrem Herz erwählen?“
„Vielfältig ist Eure Frage, und noch mehr Antworten sind darin verborgen. Immer, wenn Fragen dieser Art gehandelt werden, achtet auf die klugen Antworten, vor allem aber auf die Geister, die die Antwort geben. Oft schon erkennt Ihr an dem Rock des Antwortenden, welchen Inhalt seine Sätze haben. Trägt er einen schwarzen Rock, so spricht er meist von dem Gebot Gottes, dass die Frau dem Manne zu dienen hat. Trägt er das blaue Samtwams eines reichen Händlers, so achtet er darauf, dass seine Gemahlin treu den Haushalt führen kann, auch wenn er oft nicht zu Hause ist und seine Zeit mit anderen Weibern vertrödelt.“ Signorina Varona schmunzelte bei ihren Worten, und die anderen pflichteten ihr bei. „Die arme Bauersfrau muss kräftig genug erscheinen, die Gabel für das Heu und den Misthaufen in die Hand zu nehmen. Dem entsprechend wird ein junger Bauer sie erwählen. Ist sie aber die Tochter eines reichen Patriziers“, die Dichterin neigte sich lächelnd zu ihrer jungen Gesprächspartnerin, „so werden Väter und Brüder auf eine Verbindung achten, die ihren eigenen Reichtum und eigenen Ruhm erhöht. Unabhängig davon, ob die junge Frau ihren zukünftigen Gatten liebt.“
„Es ist ein Geschäft, als wenn ein Händler Pfeffer in China kauft“, fügte Gritti an. „Die Frau wird verkauft“, lächelte Varona.
„Und Ihr, Signora Varona, welches Kleidungsstück tragt Ihr, wenn Ihr auf meine Frage Eure Meinung gebt?“
Die kleine Gruppe von Frauen lachte über die gescheite Frage des Mädchens, das sich so gut in ihren Kreis eingerichtet hatte.
„Lasst mich zunächst die Antwort ein wenig vorbereiten“, bat Cassandra. „Ihr wisst, ich bin unvermählt, habe nicht einem Mann zu dienen. Auch habe ich mich von meinem Elternhaus entfernt, sodass ich nicht den Geboten meines Vaters und der Mutter hörig war. Von dem Geld meiner Ahnen bin ich erst recht nicht abhängig. Mit meiner Kunst, die Poesie dem Leben zuzufügen, gewinne ich genügend Ansehen und Reichtum, mich selbst zu versorgen.“
„Und dies alles, lässt Euch wie meine Frage beantworten?“, bohrte die junge Frau nach.
„Nicht daraus ergibt sich die Antwort auf die Frage. Eher anders herum. Meine Antwort auf mein Leben hat dieses mein Leben so gestaltet, wie es ist.“
„Verzeiht, edle Dichterin.“ Bianca fühlte sich unschlüssig, ob sie die Antwort richtig verstanden hatte. „Wie darf ich Euch verstehen? Nicht Eure Antwort scheint mir unklar. Eher ist es mein zu geringes Verständnis, das noch Unklarheiten offen lässt.“
„Gebt Euch nicht zu bescheiden“, fuhr Signorina Varona fort. „Doch will ich Euch den Weg meines Lebens besser erklären. Es geht nicht an, dass eine gebildete Frau sagt, mein eigener Weg ist durch den Vater vorgezeichnet, seinen Vorstellungen muss ich gehorchen. Wenn sie sich so verhält, dann braucht sie nicht den Weg der Freiheit zu suchen. Sie will ihn gar nicht
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