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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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Liebe traf, nicht durch ein künstlich hervorgerufenes Erlebnis aus dem Wein trüben. Ein Blick auf das Gemälde hatte ihm gereicht, um das Kunstwerk für alle Zeiten in seine Sinne einzugraben. Er erkannte, dass dieses Bildnis das Schicksal seines Lebens werden könnte, jedoch ahnte er nicht, wie dramatisch es in Wirklichkeit in sein Leben eingreifen würde.
    Venedig erlebte den kostbarsten Augenblick der Zeitgeschichte. Man war Teilhaber eines der reichsten Momente der Kunstgeschichte. So würde er niemals wiederkehren. Das Glück der Malkunst, das erhebende Gefühl, Zeuge des schönsten Momentes der Zeitrechnung zu sein, versetzte die Freundesschar der Cappello in eine der göttlichsten Stimmungen, die man in dieser Inselstadt jemals erlebt hatte.
    Mit Hochrufen und überaus lautem Beifall forderten die Anwesenden nunmehr Tizian gleichzeitig auf das Podest. Er war sich nicht zu schade. Er erschien. Der große Meister gab durch seine Anwesenheit dem jüngeren Kollegen die Ehre, die Anerkennung, die ihm gebührte. Dazu wurde nun erneut seine zuvor wieder verhüllte Kreation enthüllt. Beide göttlichen Meister, die der Nachwelt auf immer erhalten bleiben sollten, baten alsbald ihr Modell, die lebendige „Venus Venezia“ in ihre Mitte.
    Bianca hatte sich in dem Palazzo aufgehalten. Es war abgemacht, dass sie erst auf Zuruf kam. Aber sie kam trotz des abgemachten Zurufs nicht. Sie erschien nicht. Die Gäste wurden unruhig. Sie alle wussten, die kleine Cappello müsste sich jetzt unbedingt zeigen. Nicht weil man den Vergleich zwischen Bild und Modell ziehen wollte. Das geziemte sich nicht. Auch die Tochter sollte den Ruhm der Größen Veneziens kosten. Sie hielt sich in ihrem Zimmer verschlossen.
    Sie hatte gelernt bei Tante Gritti und Valeriano Balzano. Sie würde mit beinahe jedem der Anwesenden ein Gespräch über die Städte und Fürsten der Welt, über die Kunst und die Politik führen können.
    Für Bianca nahte der Moment, selbst bestimmt über ihre Wirkung zu entscheiden. Sie ließ die Gäste warten, sie ließ sogar Tizian und Tintoretto warten. Dann als der Bogen überspannt zu werden drohte, raffte sie ihr langes Kleid hoch und sprang aus dem Dunkel kommend von hinten auf die Bühne. Die Gäste Cappellos johlten und klatschten begeistert Beifall.
    Der finstere Blick der Lucrezia sandte einen schwarzen Strahl auf die beiden Staffeleien und ihre springende Stieftochter. Aber der tödliche Blick blieb von allen unbemerkt.
    In unbegreiflichem Jubel vergaßen die Venezianer für einen Moment ihre vornehme Zurückhaltung und überschütteten den gewaltigen Kunstakt des vor ihnen erhobenen Dreigestirns mit frenetischem Jubel, der weit über den Canal Grande bis zum jenseitigen Ufer an die Insel Murano brandete.
    Es war ein Augenblick des Verstehens, ein Gipfelpunkt in der Kunstgeschichte, ein Meisterwerk strategischer Planung des Bartolommeo Cappello. Niemals je würde man diesen Gipfel vergessen können. Die Zuschauerwelt begann, die Gemälde nicht nur auf ihren künstlerischen Wert zu vergleichen. Sie überschauten die junge Frau im reifen Alter von vierzehn mit geübtem Blick, übertrugen ihren Körper jetzt doch auf die Gemälde. Sie sahen die reifen Früchte dieses in den Bildern verewigten Körpers und verglichen sie mit dem, was sie in Natur vor sich sehen konnten.
    Bianca strahlte ihre Schönheit selbstbewusst in die Menge, sie war voller Glück über den gelungen Akt der Doppeldarstellung durch zwei der berühmtesten Männer dieser Erde. Von nun an hieß es für Cappello, die junge Tochter zu bewahren, sie in Ruhe ausreifen zu lassen. Vater Cappello brauchte sich darum nicht zu kümmern. Die Stiefmutter hatte bereits vorgesorgt.
    Mütter in der Menge verheirateten Bianca längst mit ihren Söhnen, Männer versuchten sich in ihrer Fantasie selbst an ihr, junge Burschen gaben sich gelassen und wissend.
    Mit klopfendem Herzen, einsam in der Mitte der vielen Gäste an einen Baum gelehnt, atmete der junge Pietro Bonaventuri schwer. Das duftende, weiche Kleid des jungen Mädchens aus französischem Baumwollstoff, nicht so schwer wie der Brokat der meisten Damen, leicht wie die Seele der Franzosen selbst, schwebte um ihren Körper und die verlockenden Beine. Er spürte den sanften Hauch des Stoffes sich um seine Glieder legen. Am liebsten mochte er mit zarter Hand hinfassen. Er suchte die Zeit zu dehnen, die ihm diesen Genuss schenkte. Die Einladung bei dem Handelsfürsten Cappello hatte unwiderruflich in sein

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