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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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über ihren Vater traf das Mädchen voller Wucht. Bianca warf ihm vor, nicht an das Glück seiner Tochter zu denken. So kam es, wie es kommen musste. Ausschließlich „die hässliche Kröte unter seiner Bettdecke“ machte Bianca dafür verantwortlich.
    Von einem Tag auf den anderen wurde sie aus dem Hause ihrer Tante entfernt und musste ebenso auf den freien Geist Balzanos verzichten. Als das Mühlrad in Gang gesetzt war, war es nicht mehr aufzuhalten. Lucrezia ging gleich noch einen Schritt weiter, sie schaffte es, die Tochter mit Unterstützung des Vaters unter ihre persönliche Aufsicht zu nehmen. Bianca empfand die erzwungene Rückkehr in den Palazzo wie eine Einkerkerung. Doch wuchs ihre Bereitschaft, sich dagegen zu wehren. Sobald es ihr die Abwesenheit oder Bettlägerigkeit Lucrezias erlaubte, studierte sie das Leben der ägyptischen Königin Kleopatra, die sie als Vorbild ansah. Dazu hatte sie geschichtliche Beschreibungen in der Bibliothek des Vaters gefunden.
    Immer mehr machte sie sich deren Machtgelüste zueigen. Beinahe nebenbei aber nicht wirkungsloser erfuhr sie auch, wie in der ägyptischen und römischen Aristokratie mit dem Dolch und mit Gift Politik gemacht wurde, um Ziele zu erreichen. Arsen, lernte sie, war ein wirkungsvolles Mittel um sich eines Widersachers zu entledigen. Ein Mittel, das schon in früheren Zeiten in den Hexenküchen der Alchemisten gehandelt wurde. Aber auch ein Mittel, das als leuchtende Kristalle manch ein Herz bewegte.
    Sie lernte, wie die Königin aus Ägypten zwei römische Potentaten mit der Waffe der Frau verführte, um selbst an die Macht zu gelangen. In ihren Studien in der Bibliothek des Vaters ersetzte sie fließend das Wort Kleopatra mit Bianca und die Worte Rom mit Florenz, Cäsar mit Cosimo und Marcus Antonius mit Francesco. Über diesen Weg gewöhnte sie sich an, all diese Taten sich selbst zuzuschreiben. Mit dem intensiven Studium gewann Kleopatra eine lenkende Macht über sie, und zumindest aus ihrem inneren heraus handelte sie als Kleopatra, wenn auch niemand davon auch nur das Geringste ahnte.
    Während ihr Bildungsdrang der ernsthaften Strategie eines Feldherrn glich, schenkten die Feste im Palazzo Cappello dem jungen Mädchen die Glanzpunkte ihres sonst eher niedergeschlagenen Daseins. Oft verbrachte sie die Stunden alleine im Hause, eingekerkert von einer ungeliebten Stiefmutter, die ihr die Schönheit und das Ansehen neidete. Der Kirchgang gestaltete sich für sie als das gesellschaftliche Abenteuer, an dem sie aktiv teilnehmen konnte. Weniger zeigte sie für die Kirche und die heilige Messe Interesse, als an der Begegnung mit Menschen und mit Gleichgesinnten. Bald, so glaubte sie, drohte ihre Schönheit zu verwelken, ohne dass ein Mann ihrer Wahl sich ihrer angenommen hätte, ohne dass sie die Liebe hätte genießen können, aber auch ohne, dass sie ordentlich Gebrauch von dieser Schönheit hätte machen können.
    Langsam, sehr langsam, wie sich die Knospen an einem Baum im kalten Frühjahr erst allmählich entwickeln und heranreifen, wuchs in ihrem Herzen der Wunsch nach Veränderung. Sie wusste nicht wie, noch das wann und wohin. Doch der einmal gelegte Funke würde die erste trockene Nahrung erfassen und sich zu einem lodernden Feuer entwickeln. Selbst noch ungeübt in derartigen Gedanken, wusste sie, dass der Zeitpunkt nahte.
     
    „Spiele Cembalo und verfeinere deine Künste im Sticken“, Lucrezia mokierte sich über den Wissensdrang der jungen Frau. Sie versäumte dabei nicht, mit Strafen zu drohen, schloss das Mädchen tagelang in dem Musikzimmer ein, hielt es von Vergnügungen jeglicher Art fern und verfinsterte ihre Kindheit und Jugend. Bartolommeo, ein Cappello mit dem Drang, die Güter der Familie ins Unermessliche zu mehren, hatte durch seine vielen abenteuerlichen Reisen kaum Zeit für seine Tochter und überließ die Erziehung vollends seiner zweiten Frau.
    Es war ein großes Geschäft gewesen, das er da nach dem Tod von Biancas Mutter angekurbelt hatte. Mit Lucrezia war ihm der Einbruch in eine andere starke Familie Venedigs gelungen. Voller Stolz berichtete er seinem Sohn von diesem guten Geschäft, das er mit der zweiten Heirat hatte machen können.
    Kaum konnte sich Bianca ihren stolzen Vater im gemeinsamen Ehebett mit der hässlichen Lucrezia vorstellen. Es war ihm wohl auch eher vergönnt, seine Vergnügungen bei den wichtigen Geschäftsreisen mit anderen Schönheiten zu suchen.
    In der strengen Enge des elterlichen Palazzos

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