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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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beschäftigte sich das heranwachsende Mädchen erneut mit der Vergangenheit der eigenen Familie.
    Noch mehr als ihre Vorfahren, intensiver als den Raub des Silbers und Goldes während der Kreuzzüge, bewunderte sie den Mann, der eher als Feind der Venezianer galt. Den Mann, den selbst der große Machiavelli als sein Vorbild für seine Novelle „Il Principe“ genommen hatte. Ein Buch, das sie als Lehrbuch zur Erlangung und der Erhaltung von Macht verstand. Mit Hingabe verschlang sie das literarische Werk des Meisters. Außer dem alten Dogen Dandolo wusste sie niemanden, der so geschickt und ohne jegliches Zögern seine Ziele erreicht hätte. Sie durfte den Namen des Medici im Kreise ihrer Familie nicht erwähnen, lief Gefahr bei seiner Nennung gestraft zu werden. Sie hatte sich aus den wenigen greifbaren Informationen das Lebensbild dieses Mannes zusammengestellt. Cosimo I., der Große, wie er jetzt schon, während seiner Lebzeit genannt wurde, vereinnahmte ihre Sinne, ließ das Blut in ihren Adern kochen.
    Der spitze Tritt ihrer Stiefmutter auf der hölzernen Treppe riss sie aus den Träumen vergangener Taten zurück in den unglücklichen Ablauf eines ihrer gefangenen Tage. Sie verschloss die Erzählungen Enricos in ihrer Kommode und machte sich an die Stickarbeit. Der eiserne Schlüssel knirschte im Türschloss, die Stiefmutter stolperte herein und kontrollierte den Fortschritt des Mädchens.
    „Das Wenige ist deine Arbeit?“, zeterte sie ketzerisch. „Du hast zum Fenster hinausgeschaut und die Vögel träumerisch verfolgt. Um eine gute Christin zu werden, bedarf es noch einiger Übungen. Du sollst nicht soviel denken. Sticke und lese dabei die Bibel. Mach dich an die Arbeit, spiele Cembalo und zupfe die Saiten stark genug, dass ich die Melodien gut hören kann, du unnützes Mädchen. Dein Leben ist so sinnlos, wie der Tag ohne Gott, die Stunde ohne Gebet.“
    Sie versetzte dem jungen Mädchen bei diesen Worten einen kräftigen Schlag auf den Kopf, dass sich Bianca die Sticknadel in die Wange rammte.
    Die unglücklichen Tage reihten sich einer an den anderen, und niemand erlaubte es ihr, sich an den Schönheiten der Welt zu erfreuen. Wie die Herbststürme in der Lagune die Stadt im Wasser mit trüben Schleiern überzogen, die Nebel und dunklen Wolken die Sinne verfinsterten, so zog über Biancas Seele das graue Tuch des Todes. Nur der Racheengel, den sie oft in ihren Sinnen in die Kemenate der Stiefmutter befahl, verschaffte ihr ein wenig freien Atem und Wohlbefinden.
    „Verflucht seiest du, altes Weib“, schleuderte sie ihren Hass in die Kammer der verwünschten Frau. „Die Pest, die Schwindsucht oder die Wassersucht wird dich eines Tages dahinraffen, auf dass dein unheilvolles Dasein ein schreckliches Ende finden möge.“ Ab und an schenkten ihr solche Gedanken ein wenig Erlösung.
    Karneval in Venedig
    „Wie könnte sich ihr Dasein verbessern, wenn es überhaupt möglich war?“, fragte sie sich.
    Nur an wenigen Tagen im Jahr erfreute sie sich glücklicherer Momente. Dann entriss sie ihren Kopf der trüben Stimmung und erbaute sich an dem Wohlgefallen der Menschen. Mehr und mehr entdeckte das freudlose Wesen, dass die Natur ihrem Körper ein edles Aussehen angedeihen ließ. Ihre langen, blonden Haare schmückten ein zartes Antlitz, das in Stirn und Augen, Nase und Mund, Kinn und Wangenknochen, selbst in der ganzen Einheit eine liebliche Gestalt erkennen ließ. Auch im weniger hellen Kammerlicht gab ihr der Spiegel das Blau ihrer Augen derart verführerisch zurück, dass sie unversehens damit zu spielen begann. Sie übte wie in den Tagen mit Tante Gritti die Haltung des Kopfes auf dem schmalen Hals, den Schlag der Augenlieder und die sinnliche Verformung des ausgeprägten Mundes.
    „Noch ein wenig mehr die Lippen öffnen, sie noch ein wenig befeuchten“, forderte sie ihr Spiegelbild auf. Schon bald erkannte sie die Wirkung einer Creme auf der Umrandung des Mundes, die den sinnlichen Ausdruck, wenn sie die Lippen aufwarf, unterstrich. In den Jahren der Reife beobachtete sie mit Lust und Vergnügen, wie die Rundungen des Körpers noch weiblicher wurden, und sich die feste, prachtvolle Brust mit herrlichen, aufgerichteten Knospen verzierte.
    „Lucrezia, du hässliches Weib, du Ausgeburt des Krötenteiches, du unbefriedigte Gefangene deiner eingekerkerten Sinne. Nicht mehr lange wirst du mein Leben quälen, mein Fortkommen behindern. Eines nicht so fernen Tages werde ich die Fesseln deines dümmlichen

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