Der Schwur der Venezianerin
der ihnen über den Weg geriet. Die Ausschweifungen nahmen derart überhand, dass die Männer ihren Frauen und die Väter und Mütter ihren Töchtern verbaten, zu Karneval das Haus zu verlassen. Lucrezia wetterte angewidert über das gottlose Treiben, verbot Bianca außer Haus zu gehen. Sie selbst musste aber zu viele Verpflichtungen an der Seite ihres Gemahls wahrnehmen, als dass sie auf ihre Stieftochter achten konnte. Keineswegs würde die alte Schachtel ihren Mann alleine gehen lassen, davon war Bianca überzeugt. Zuviel Angst erfasste die hässliche Kröte, Bartolommeo könnte sich selbst in Venedig an den Reizen schöner Frauen erfreuen.
Die alte Cattina zeigte ein Herz für das Mädchen, hatte sie es doch einst an der Brust genährt. Wie ein scheues Reh hielt sich die Amme im Palazzo Cappello verborgen, wohl wissend um die zu strengen Wege der Lucrezia für ihren Liebling. Schweigend nahm sie die Leiden der Haustochter wahr und vergoss manch eine Träne in ihrer Kammer für ihren Schützling. Niemals hätte Cattina gegen die Anordnungen des Bartolommeo Cappello verstoßen. Gegen die Stiefmutter Lucrezia dagegen hegte sie von Anbeginn einen grenzenlosen Hass, wie die Haustochter selbst.
„Mein Kind, ich will deine Freude ein wenig unterstützen“, pflegte sie zu sagen, wenn sie dem Mädchen half, sich über Verbote hinwegzusetzen. In ihrem zeitlosen Gesicht spiegelten sich die Bilder vergangener Tage, als sie die saugenden Lippen des kleinen Mädchens an ihre vollen Brüste gedrückt hatte. Mit Stolz hatte sie die zunehmende Schönheit der Bianca verfolgt, nahm sie doch wahr, wie aus ihrer fruchtbaren Muttermilch das schönste Kind auf Gottes Boden heranwuchs. Jedes Gespräch mit Cattina schenkte Bianca den Trost und den Gleichmut, den sich ein frommer Mensch eher aus dem Gebet zur Muttergottes in der nahen Grotte am Rio del Ponte holte.
So war es Cattina, die mit dem notwendigen Versteckspiel den Ausgang des Mädchens verbarg und abends heimlich und ungeduldig auf seinen Liebling wartete.
Bianca trug ein weit ausladendes Kleid aus leuchtend gelber Seide und ein eng geschnürtes Mieder, das ihre hervorquellenden Brüste bis über die Spitzen freiließ. Sie ließ sich mit einem schwarzen, dreieckigen Hut, unterarmlangen, weißen Handschuhen und einem weichen Zobelpelz, der ihren langen, geschmeidigen Hals umschmeichelte, in einer überdachten Gondel an den Markusplatz fahren. Unter ihrer Maske erglühten ihre Wangen als ihr weit über den Canal Grande das Stimmengewirr der vielen Tausend Menschen, die Rufe von Händlern und Gauklern entgegenhallten. Die Spannung in dem ein wenig verkleideten zierlichen Wesen stieg mit jeder Elle der Annäherung an den Nabel Venedigs, Italiens und der Welt.
Das vielversprechende Lächeln einer starren Vermummung verbarg Biancas Gesicht, sie behielt nur die Öffnungen für Mund, Nase und Augen offen. Dennoch leuchteten aus der Maske ihre blauen Augen, und die Merkmale ihrer überbetonten Weiblichkeit, die sie zur Schau stellte, reichten aus, um sich immerfort irgendwelchen Annäherungen von maskierten Geschöpfen erwehren zu müssen. Selbst auf dem breiten Canal Grande tummelten sich Hunderte von bunt geschmückten Gondeln, und es schien schwierig auch nur eine verbliebene Lücke zum Anlegen an der Piazzetta zu finden.
Fröhliche Musikanten und lachende Gaukler, geschwätzige Scharlatane, Bänkelsänger mit ihren schaurigen Moritaten, verkrüppelte Bettler, kleine und große Kurtisanen und fahrende Händler, sie alle suchten die Gelegenheit, aus den freigebigen Menschen so viel Geschäft herauszusaugen, wie irgend möglich. Kaum hatte sie einen Fuß auf den Platz gesetzt, fand sie viele Verehrer und die Händler und Künstler rissen sich um ihre Aufmerksamkeit.
Die junge Frau brauchte eine Weile, sich in den Gelüsten des Fleisches und den Angeboten von Abenteuer und Genuss zurechtzufinden. Aus dem feiernden Venedig schlug ihr eine schwer entwirrbare Wolke von exotischen Reizen entgegen. Herren mit ihren Perücken. Damen, die ihre bunten Kleider und die freien Brüste und Hälse mit Parfüms beladen hatten. Krämer mit den Gewürzen aus China und Japan, aus Indien und dem fernen Mexiko übertrafen den alltäglichen Gestank des faulenden Canal Wassers und des stinkenden Gassenkots mit einer Mischung der Gerüche aller Herren Länder. Nichts schien es zu geben, was man nicht mit einem Duft oder einem fremdländischen Geruch bespritzt hatte.
Gerade hatte ein Weinverkäufer
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