Der Schwur der Venezianerin
Nordwesten. Hinter den gewaltigen Stadttoren verweilte Bianca einige Augenblicke breitete die Arme aus und sog freudig erregt die Luft dieser anderen Metropole in sich auf. Die Quälereien und Erniedrigungen der Vaterstadt Venedig lagen hinter ihr. Sie ahnte nicht, in welche Verquickungen sie bald geraten würde.
Sie hielt die Augen offen, fragte ihren Begleiter stets nach dem Palazzo seiner Eltern, in dem sie endlich Ruhe findend beherbergt werden könnten. Hinter der Porta San Gallo bogen sie bald nach links ab und überquerten die Piazza San Marco. Wenige Schritte später bogen sie noch weiter nach links ab in die Via Della Colonna.
„Du hast mir erzählt, mein Freund, dein Vater ist Notar und Kanzler der Handelsvereinigung. Er wird es wohl verstanden haben, einen der schönsten Palazzi in Florenz zu bewohnen.“
„Mein Vater ist ein ehrlicher, bescheidener Mann“, entgegnete Bonaventuri, „er bewohnt das, was er sich leisten kann. Meine Mutter ist eine fromme Frau, sie legt nicht zu viel Wert auf die äußerlichen Dinge dieser Welt.“
„Ist das der Grund, warum du Bankkaufmann werden musstest?“, lachte sie. „Und ist es unvereinbar, ehrlich und bescheiden einerseits zu sein und mit Wohlstand zu leben andererseits?“
„Wir sind zu Hause“, murmelte Pietro eher bedrückt als fröhlich.
Bianca erfasste mit einem einzigen Blick den wertvollen, wohlgestalteten alten Palast, der einer reichen Familie jede Ehre erwiesen hätte.
Weder hatten sie sich anmelden lassen, noch hatten sie eine frohe Kunde ihrer Ankunft voraus gesandt. Sie erschienen nun in einer armseligen Mönchskutte, abgemagert, mit allen Zeichen der Erschöpfung in ihren Gesichtern und auf ihren Körpern.
Wie es die Mutter mit ihrem verlorenen Sohn zu tun gedachte, so geschah es. Sie nahm ihn liebevoll auf, fragte nicht die unnötigen Fragen der Mütter, auf die es ohnehin keine Antworten gab. Sie behandelte Bianca, wie es die künftige Schwiegertochter verdient hatte, wie es der Mutter ihres ungeborenen Enkels zukam. Bald schon stand ohnehin die Hochzeit vor der Tür und ihr Sohn würde mit Bianca in eine gemeinsame Wohnung ziehen und ihre eigenen Wege gehen.
Messer Zanobi Bonaventuri, Pietros Vater, nahm die Dinge gelassen und nüchtern. Mit Ruhe und Überblick hatte er sein Leben erfolgreich gestaltet. Auch dieser seltsame Einzug seines Sohnes und seiner kommenden Schwiegertochter in Gestalt der beiden Bettelmönche würde sich in völlig normale Laufbahnen hinein bewegen.
„Messer Zanobi, immer, wenn ich Bianca in die Augen schaue, befällt mich große Sorge um unseren Sohn Pietro“, sprach seine Frau nach der Ankunft der beiden ihren Mann an. „Diese Frau hat mehr im Sinn als nur die Gattin eines Bankkaufmanns zu sein. Sie ist eine Herrscherin, sie ist eine Schönheit.“
„Das wird unserem Sohn zugutekommen“, antwortete er lächelnd. „Und was die Schönheit anbelangt, so habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie durchaus zu bändigen ist“, er lächelte liebevoll seine Frau an.
„Du bist ein Schmeichler“, sagte sie sorgenvoll, „ich denke mehr an das Lebensglück unseres Sohnes. Er ist in sie verliebt.“
„Nun, das ist es, was er sich wünschen konnte. Eine Frau zu heiraten, in die er verliebt ist. Dazu ist sie auch noch eine ausgesprochene Schönheit und stammt aus einer angesehenen und reichen Patrizierfamilie in Venedig. Wegen ihm und mit ihm hat sie eine mühselige Flucht über den Apennin unternommen, und jetzt trägt sie auch schon sein Kind unter dem Herzen. Dazu ist er selber Bankkaufmann in dem berühmten Bankhaus Salviati. Wie glücklich kann sich unser Sohn schätzen. Er hat ein schönes und angenehmes Leben vor sich. Nicht viele junge Männer haben Ähnliches zu erwarten.“
„Messer Zanobi, siehst du das nicht zu einseitig? Sind das alles nicht nur die äußerlichen Dinge?“
„Ich denke, die Liebe ist etwas, was beide verinnerlicht haben. Ihr Glück wird von innen herauskommen.“
„Es ist das, was ich bezweifele. Schau in die Augen von Bianca, betrachte die ganze Geschichte aus ihrer Sicht und du wirst bessere Antworten bekommen.“
„Was sind deine Antworten, meine Liebe?“
„Ich sagte dir, sie ist eine Herrscherin. Sie hat Größeres vor.“
„Deswegen heiratet sie unseren Sohn.“
„Deswegen benutzt sie unseren Sohn, wie sie ihn schon eine Weile benutzt hat. Du kennst ihre Geschichte, wie sie Pietro berichtet hat. Sie stammt aus der altehrwürdigen Familie der
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