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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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wie ein Magnet zog es seinen Blick immer wieder zu dem Fenster im ersten Stock dieses einfachen Hauses zurück.
    „Das Gebäude ist zu alt, die Wände sicherlich zu feucht und die Stiegen zu steil, um eine solche Schönheit der Natur zu beherbergen“, sagte er sich. „Was macht sie dort in dieser hässlichen Kemenate? Welches Unglück hat sie in ein Haus der Unbemittelten gebracht? Nirgendwo in den Fenstern sehe ich Glas. Des Nachts und bei Kälte muss sie die Löcher mit Holzläden oder mit Öl- und Wachsleinwänden verschließen. Sie würde durch ihre Anwesenheit jeden Palast in noch hellerem Glanz erscheinen, jedes Fest festlicher und jeden Staatsakt brillanter werden lassen.
    Forschend machte er einen Schritt auf das Fenster zu, um die glanzvolle Schönheit näher in Augenschein nehmen zu können. Da fiel ihr Blick auf ihn und für einen kurzen Moment trafen sich die Augen. Wie ein heißer Blitz durchfuhr es den jungen Medici.
    Das war doch …? Das ist doch …? Das musste die schöne Venezianerin sein, die sich unter den Schutz der Medici gestellt hatte. Und er erinnerte sich an den unwürdigen Abgang der um Schutz flehenden Frau, den sein Vater verursacht hatte. Zum Glück war es ihm danach recht leicht gefallen, die Meinung seines Vaters umzudrehen. Er hatte kurz darauf die Gardisten zu ihrer Wohnung geschickt, von der er an diesem Tag selbst nicht wusste, wo sie lag. Seitdem hatte er sie aus den Augen verloren. Und jetzt das!
    Erneut entflammte seine Liebe und seine Brust füllte sich mit der frischen Luft aus dem grünen Hof des Klosters. Eine der schwebenden Rauchwolken aus dem Schornstein hatte sich kurz zuvor aus der gelben Masse gelöst und schwenkte, als habe sie ihr Werk noch nicht vollbracht, über das Dach in das offene Fenster der Werkstatt. Ungewollt erwischte der Forscher bei seinem Atemzug diese kleine Wolke, und ein Hustenanfall überfiel den Kronprinzen. Verstört entdeckte er, bevor er sich notgedrungen abwenden musste, dass die schöne Frau ob seines Missgeschickes amüsiert lachte. Als er sich schließlich wieder dem Fenster zuwenden konnte, war die strahlende Erscheinung, wie eine Fata Morgana seinen Blicken entschwunden. Ein Fluch begleitete sein Missgeschick. Was die Frauen anbelangte, war er allerdings von schneller Entscheidung. Eine solche Schönheit konnte er sich nicht entgehen lassen. Francesco ließ umgehend seinen Pagen Bartolo Bioggi kommen und trug ihm auf, sein Siegel aus dem Palazzo herbeizuschaffen.
    „Eile er sich“, herrschte er unwirsch seinen Pagen an, „und mache er schnell, dass er zurückkehrt.“
    Bartolo schaute verwirrt auf seinen Herrn. Gerade erst waren sie doch aus dem Palazzo in die Alchemistenküche in San Marco, gekommen, und schon sollte er zurück, um ein Siegel zu holen. In dieser Form sprach ihn sein Herr auch selten an, nur wenn er sehr verärgert schien, oder wenn er es ausgesprochen eilig hatte.
    Der Fürstensohn ließ inzwischen das Feuer in der Giftküche auf den normalen Stand herab brennen, ließ die benutzten Kolben und Chemikalien, das Blei und das Brennmaterial beiseiteschaffen. Auch, wenn es Francesco noch so eilig hatte, aus dem niederen Blei Gold zu machen, so erschien ihm nun das glänzendste Gold in der Gestalt dieser Schönheit. Er glaubte daran, sein Ziel in der Alchemistenküche erreicht zu haben.
    War es nicht ein Wink des Schicksals, das diese weiblichste aller weiblichen Formen ausgerechnet vor seine Werkstatt führte? Der Teufel solle ihn holen, wenn er dieses Angebot ungenutzt vorbei gehen lassen würde. Es würde für ihn noch eher diesen einen weiteren Grund geben, sich in dem Kloster aufzuhalten.
    „Oh gütiges Schicksal“, sprach er laut vor sich hin. „Du kommst zur rechten Zeit. Lass dich greifen, lass dich erfassen, du Schönste der Schönen. Jetzt, wann sonst muss ich dieses Experiment wagen. Jetzt, wann sonst muss ich diese Zauberformel sprechen, die das Glückshorn über mich ausströmen lassen wird. Mit dir, du leuchtender Stern wird mein Leben reicher, als ich es je geahnt hatte.“
    Seine erfreute Seele ließ ihn in die Sprache der Poeten verfallen, selbst das war ihm ein Zeichen der göttlichen Zuwendung.
    Francesco schwieg und schaute mit einem schimmernden Glanz in den braunen Augen auf das kleine Feuer unter dem Glaskolben.
    War es wieder einmal seine unmögliche Marotte, fragten sich seine Lehrlinge, als Francesco schroff nach Papier und Feder verlangte, sich an den Tisch setzte und seine Mitstreiter in

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