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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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Ihre Hand zitterte leicht. Nicht die Ehrfurcht vor dem Heißsporn aus dem mächtigen Hause Medici ließ ihr Herz schneller schlagen. In der recht kurzen Zeit ihres Aufenthaltes in Florenz waren ihr die unglaublichsten Geschichten über den Kronprinzen zugetragen worden. Man brauchte nicht danach zu fragen, freiwillig erzählten Waschweiber und Gemüsehändler über die geschlechtlichen Abenteuer und Vorlieben des kommenden Herrschers aus Florenz. „Noch war sie eine unter vielen, die er sich wohl täglich aussuchte“, arbeiteten Biancas Gedanken. „Wie viele hatten sich schon Hoffnungen über ein einmaliges Abenteuer hinaus gemacht, hatten dann vergeblich auf weitere Abenteuer gewartet? Nein, diese einmalige Einladung war es nicht, die sie leicht erglühen ließ.“
    Schneller als erwartet war sie ihrem eigenen, für ihr Leben ausfindig gemachten Ziel ein großes Stück näher gekommen. Mit diesem Schreiben aus der Feder des ältesten Sprösslings der Medici öffneten sich die Tore in eine andere Welt. Sie würde dort nicht als Bittstellerin erscheinen. Der nächste Schritt ihres machtvoll angestrebten Zieles rückte in greifbare Nähe. Niemals würde sie diese Möglichkeit ungenutzt vorübergehen lassen.
    „Tante Gritti ich verfeinere Eure Methoden und gönne mir einen schnelleren Erfolg“, jubelte sie.
    Erneut las sie die Zeilen des Schreibens, machte sich Gedanken über jedes einzelne Wort, drehte es, wendete es, setzte es an andere Stellen, um den Kern der Formulierungen ausfindig zu machen. Unter dem Mantel von Schnörkeln und schön gefärbten Worten, unter dem Anspruch von Macht und Gehorsam, unter dem Vorwand von Großmut und Verantwortung suchte sie nach der geheimen Offenbarung des Warum.
     
    „… Redet mit niemandem über diese Gnade, ….Schützt Euer Leben mit Schweigen über Eure Absichten …“
     
    Die weibliche List der schönen Frau hatte schnell die verräterischen Worte ausfindig gemacht, die die wahren Absichten des Schreibers erkennen ließen.
    „Nun, Francesco“, sprach sie in einen Spiegel hinein, schaute sich selbst dabei lächelnd an, „ich werde schweigen, meine Absichten, werde ich niemandem verraten.“
    Ihr Blick schweifte von dem Selbstbildnis erneut aus dem Fenster auf die erkalteten Schornsteine von San Marco. Die Bilder in ihrem Kopf nahmen die deutlichen Konturen erneut an. Sie erkannte noch einmal die rauchenden Schwaden, das nachgelegte Feuer, den Mann einige Schritte hinter dem Fenster, den wie zufällig fast zur selben Zeit erscheinenden Boten. Weiter zurück in die fernere Vergangenheit richtete sich ihr Auge auf den Palazzo in Venedig, den Reichtum ihrer Vorväter, auf ihre hasserfüllte und auch von ihr gehasste Stiefmutter, die eingekerkerten Tage mit Sticken und Cembalospielen.
    „… höre und höret alle: Ich will an der Seite eines Mannes stehen, der Schlachten schlägt und Kriege gewinnt, der Staaten lenkt und ein Imperium des Reichtums leitet. Und ich will noch viel mehr, ich will diesen Mann beherrschen.“
    Lächelnd erstand ihr Schwur erneut vor ihrem Auge, der Schwur, den sie vor ein paar Jahren aus dem Fenster ihrer Gefangenschaft tonlos in die Welt geschleudert hatte.
    Vor den Augen der jungen Venezianerin verschwammen die Schriftzeichen, das Papier mit dem Siegel des Thronfolgers fiel zu Boden. Pietro Bonaventuri war nicht zugegen. Er weilte zu Bankgeschäften in Rom. Durfte sie alleine die Aufforderung zur Berichterstattung wahrnehmen? Welche Zuversicht konnte sie aus diesem Brief lesen? Sie wirbelte, beschwingt wie im Tanze durch den engen Raum. Dabei fiel ihr Blick auf San Marco. Der schmale Schornstein hatte längst aufgehört zu rauchen, eine Gestalt stand am Fenster, an demselben Fenster, wie zuvor schon einmal, und ohne die Hintergründe zu erfassen, glaubte sie den Grund für das Spiel zu erkennen.
    Hatte sie nicht schon früher gehört, dass der Erstgeborene des Großherzogs in die Alchemie verliebt war, dass er in seiner Alchemistenwerkstatt nach dem neuen Gold suchte? Hatte nicht der Mann am Fenster zuvor schon sehr dem Prinzen geähnelt? Waren all diese Bilder, die sich wie ein Herbststurm in ihrem Kopf bewegten, nur Fantasiegebilde? Langsam schritt sie näher an das offene Fenster heran, zeigte sich dem Betrachter aus dem Kloster. Mit eleganter Armbewegung verbeugte sich die fremde Gestalt, nickte wohlgefällig.
    In den Palazzo Vecchio war sie gebeten worden, nicht in den Palazzo Pitti. Die Zusammenkunft hatte also rein formellen

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