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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Tschauder
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hatte sie schon bei Gritti der Lehrer Valeriano Balzano wissen lassen. Bei ihren Nachforschungen stellte sie fest, wie einfach es war mehr über den jungen Medici zu erfahren. Florenz redete über den Nachfolger auf dem Großherzogsthron mit heißer Zunge von seinen sexuellen Eskapaden, seinen Ausschweifungen und seiner geheimnisvollen Alchemie. Sie verstand es nahezu, aus jedem Gesprächspartner Einzelheiten über Francescos Lebensweg zu ergattern. Dabei hielt sie sich zurück, selbst wenn der Gesprächspartner noch mehr zu wissen schien. „Nicht zu viel auf einmal, nicht zu viel von einer Person“, ermahnte sie sich immer wieder. Niemand sollte auch nur annähernd ihr starkes Interesse an dem Medici erahnen.
    Sie erforschte den Weg des Kronprinzen, versuchte sich in seine Welt hineinzuversetzen. Würde sie es schaffen?, fragte sie sich. Gleichzeitig beschwor sie sich: „Höre auf zu zweifeln“, und sie legte alle Unsicherheiten beiseite.
    Die Gardisten vor ihrer Haustür waren längst abgezogen. Zuviel Aufmerksamkeit konnte nicht in Sinne der geflohenen Venezianerin sein.
    Sie dachte in diesen Tagen oft an die Ereignisse der vergangenen Wochen. Ihr war es gelungen, zu fliehen. Es war ihr gelungen, weg von der elenden Abhängigkeit der Stiefmutter zu kommen. Ihr war es gelungen, unter den Schutzmantel der Medici zu kriechen. Jetzt konnte sie es kaum erwarten, endlich den Nachfolger im Palazzo des Herrschers näher kennenzulernen.
    Seit sie diese Wohnung bezogen hatten, waren ihr die Rauchschwaden aus dem Schornstein von Santa Croce aufgefallen. Das Kloster lag auf der anderen Seite des großen Platzes. Nur hatte sie sich bisher nicht darum geschert. An diesem Tag allerdings war es etwas anderes. Es lag nicht nur an ihrer andersgearteten Aufmerksamkeit. Die Rauchsignale forderten zwangsläufig ihr Interesse heraus.
    Diesmal entstiegen dem engen Kamin kleine, vor allem aber dunkle Wolken und zogen eine stabile Rauchfahne in den blauen Nachmittagshimmel. Es war weder die Zeit, die feuchten Räume mit einem offenen Feuer zu erwärmen, noch hatte Coppo, der Mönch aus dem Refektorium von San Marco, das abendliche Mahl vorzubereiten. Eher eine geheimnisvolle Offenbarung schienen die seltsamen, rätselhaften Zeichen zu signalisieren. Die junge Frau am offenen Fenster gegenüber dem Kloster schaute mit versonnenem, unverständigem Blick auf die in sich wirbelnden Schwaden, die ein Mysterium zu verkünden schienen. Der Teufel selbst mochte wohl dort die bösen Seelen verbrennen oder seine Giftküche angeheizt haben. Der Rauch entwich dem größten Kloster von Florenz. Eine Teufelshochzeit schien damit ausgeschlossen. Was mochte er also darstellen? Unwillig wollte sie sich gerade abwenden, als sich die bis dahin noch sehr leichten Dämpfe mit gelbem Schwefel sättigten. In ihm erhoben sich schwerfällig viele dunkle Partikel und verpesteten die klare Luft. Sie wandte sich zurück, dem unerkannten Mysterium zu, und verharrte eine Weile neugierig schauend, wobei sie sich leicht aus dem Fenster lehnte.
    Unterhalb der aufsteigenden Rauchfahnen machte sich ein Mann im Kloster hinter einem glaslosen Fenster zu schaffen und schaute wie gebannt auf das Mädchen am Fenster. Francesco d’Medici hatte wohl schon ein paar Tage lang die Schöne beobachtet, von der er bislang nicht wusste, wer sie war, geschweige denn, dass er sie wieder erkannt hätte. Er ahnte, wie er das Interesse der so unnachahmlich strahlenden, jungen Frau wecken konnte. Noch war es der unbekannte Rauch, den er als Signal für das Verbleiben des Mädchens am Fenster nutzte. Bald schon würde er zu anderen Mitteln greifen müssen, damit ihre Neugierde nicht erlahmte. Er warf noch einige Kräuter in den Ofen, die das aufsteigende Geheimnis tiefgelb färbten. Im weichen Glanz der späten Nachmittagssonne hielt das wunderbare Geschöpf seine Hand über die Augen, um das teuflische Werk besser betrachten zu können. Sie lehnte sich weiter aus dem Fenster, erhob leicht ihren Oberkörper und schaute fragend auf das Unerklärliche. Ihre weiblichen Formen drückten sich aus ihrem eng geschnürten Kleid heraus, und da sie sich weit genug entfernt wähnte, hielt sie mit der freien Hand ihren Busen fest.
    Diese Geste ließ das Blut des jungen Herzogsohnes aufwallen. Mit halb geöffnetem Mund nahm er, verdeckt und unerkannt, das wunderbare Geschöpf wahr. Welch weibliche Formen, welch strahlende Schönheit, trat ihm dort am Fenster gegenüber. Er wollte sich abwenden, doch

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