Der Schwur des Maori-Mädchens
erklärte Tiaki voller Stolz. Matthew aber erwachte beim Anblick der toten Soldaten aus seinem Traum. Ihm wurde übel. Es erinnerte ihn fatal an damals. Als sie aus dem Vorratshaus geklettert waren und ihre Brüder und Schwestern ... Er konnte nichts dagegen tun. Er erbrach sich unter einem Kauribaum. Tiaki blieb besorgt an seiner Seite, während die anderen sich rasch entfernten.
»Was ist mit dir, Bruder? Kann ich dir...« Weiter kam der Freund nicht, denn in diesem Augenblick erschallte aus dem dichten Busch heraus eine triumphierende Stimme: »Hier haben wir zwei von ihnen! Ganz allein.« Und dann fiel ein Schuss. Matthew sah voller Entsetzen, wie eine Fontäne dunklen Blutes aus Tiakis Bauch hervorspritzte, bevor er zu Boden sank. Ein weiterer Schuss erfolgte, und Matthew spürte einen brennenden Schmerz am Oberarm.
Außer sich vor Zorn legte Matthew das Gewehr an und feuerte in die Richtung der Rotröcke, als hätte er nie etwas anderes getan, als zu schießen. Er hörte einen Schrei, doch danach war alles still, bis auf das Schlachtgetümmel, das von ferne bis hierher drang. Und dann ein leises Stöhnen. »Matui, Matui.«
Matthew beugte sich über den schwer verletzten Freund. Was sollte er bloß tun? Immer noch sickerte ihm das Blut aus dem Bauch. Matthew musste sich zwingen, den Blick nicht abzuwenden, denn Tiakis Bauch war nackt, sodass die klaffende Wunde sichtbar war. Der Freund wiederholte immer wieder seinen Namen und blickte ihn flehend an. »Makere«, flüsterte er schließlich erschöpft und schloss die Augen.
Matthew nahm seine Hand und drückte sie. »Du wirst sie heiraten, wenn du wieder gesund bist«, raunte er.
»Rache«, brachte Tiaki keuchend hervor. »Schwör Rache an dem Pakeha!«
Matthew liefen eiskalte Schauer über den Rücken. Was versuchte Tiaki ihm damit zu sagen? Dass er weiterkämpfen solle?
»Natürlich werde ich meine Muskete bedienen, solange meine Hände sie halten können«, erklärte er feierlich.
»Dieser Pakeha, der Makere ...« Tiakis Stimme erstarb.
»Von welchem Pakeha sprichst du, Bruder?«
»Er ...« Tiaki keuchte schwer. »... hat ... Makere ... mit Gewalt... hat Kind ...«
»Maggy hat kein Kind. Maggy ist doch selbst noch ein Kind. Bitte, sprich nicht mehr! Das strengt dich zu sehr an«, beschwor Matthew den verwundeten Freund und versuchte, ruhig zu klingen. Dabei pochte sein Herz bis zum Hals.
Tiaki aber riss noch einmal die Augen auf. Jeglicher Glanz war daraus gewichen.
»Nein, Maggy ... weißes Baby ... du ... Rache. Töte ihn! Schwör es! Töte ihn... Ich ...« Doch dann brach sein Blick, und sein Kopf kippte leblos zur Seite.
Matthew war wie betäubt. Sein Arm brannte wie Feuer, doch Tiakis Worte ließen ihn plötzlich aufspringen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz: War Maggy etwa deshalb noch immer in Te Waimate? Nicht, weil es ihr dort so gut gefiel, sondern weil man sie dort versteckt hatte, um die Schande nicht ruchbar werden zu lassen? Siedend heiß fiel ihm ihr dicker Bauch ein. Und er hatte geglaubt, sie habe sich überfressen. Wie dumm ich doch war!, schalt er sich. Matthew ballte die Fäuste. Wer hatte davon gewusst? Seine Mutter, sein Vater, alle beide? Und wer war dieser Mann? Ich will es wissen, und zwar sofort, durchfuhr es Matthew zornig. Er warf seinem Freund einen letzten Blick zu: »Deine Brüder werden dich zu den Ahnen bringen. Ich sage ihnen, wo du sie erwartest. Und ich schwöre, ich werde ihn töten, wenn ich ihn finde. Und ich schwöre, ich werde ihn finden!«, schrie er außer sich vor Schmerz und Zorn.
Dann riss er den Blick von seinem toten Freund los und schlich sich auf Umwegen nach Russell. Immer wenn er Kampflärm hörte, machte er einen Bogen um das Gefecht. Mit einem Mal war ihm das alles völlig gleichgültig. Ob die Fahne wehte oder Hone Heke gesiegt hatte, seine Gedanken kreisten nur noch um den einen Pakeha und die Frage, wie er ihn umbringen würde. Als sein Arm zu pochen begann, biss er die Zähne fest zusammen, um nicht laut aufzuschreien.
Er war bereits am Fuß des Berges angelangt und erschrak, als er mitten auf dem Weg einen verrenkten Körper entdeckte. Bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass es sich um eine Frau handelte, die auf dem Bauch lag. Sosehr sein Inneres auch vor Hass bebte, er konnte sie nicht dort liegen lassen. Wenigstens ins Gebüsch würde er sie ziehen. Vorsichtig bückte er sich und entdeckte dabei die Einschusswunde in ihrem
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