Der Schwur des Maori-Mädchens
hasse und am liebsten alle umbringen würde, nicht wahr? Aber du irrst dich gewaltig. Mir ging es darum, sie in ihre Schranken zu verweisen. Mehr nicht! Sag mal, wer bist du eigentlich? Ich habe dich nämlich noch nie zuvor hier gesehen.«
»Ich bin Margaret, die Tochter des Missionars Walter Carrington aus Paihia.«
»Und die Schwester des tapferen Matui. Makere. Er war bei uns, als wir den Mast fällten.«
»Das glaube ich nicht. Niemals! Und wo ist er jetzt, wenn er zu deinen Leuten gehört...« Maggy stockte. »Er liegt doch nicht etwa auch auf dem Wagen?«
»Nein, Makere, er lebte, als wir den Rückzug antraten, und beide Seiten haben ihre im Kampf getöteten Brüder eingesammelt und mitgenommen. Er war nicht dabei.«
»Aber wo steckt er denn bloß?«
Hone Heke hob die Schultern. »Das wüsste ich auch gern. Vielleicht ist er auf dem Schiff der Rotröcke. Aber sei beruhigt. Er ist ein zäher Bursche, und er liebt dich. Er wollte mit uns nach Kaikohe ziehen, aber nur unter der Bedingung, dass wir dich auf dem Weg dorthin abholen. Und nun ist er nicht da, aber ich spüre, dass ihm nichts Schlimmes widerfahren ist. Ich hoffe, er holt dich bald ab.«
Maggy war nicht so optimistisch wie der Häuptling, was das Schicksal ihres Bruders anging. Was sollte ihn davon abhalten, nach Te Waimate zu kommen, wenn nicht... Maggy wollte den Gedanken lieber gar nicht erst zu Ende führen und versuchte, ihre düsteren Ahnungen zu verbergen.
»Wenn er mich holt, werde ich mit ihm gehen, und wenn er mich in dein Dorf bringt, dann werde ich ihm auch dorthin folgen«, sagte sie zum Abschied betont fröhlich. Der Häuptling ließ sich nicht täuschen. »Makere, bete für ihn«, bat er sie mit ernster Stimme.
Sofort schossen Maggy Tränen in die Augen, doch sie bemühte sich, nicht zu weinen.
»Ich brauche ein wenig frische Luft«, erklärte sie, nachdem sich ihr Kind satt getrunken hatte.
»Sollen wir auf die Kleine aufpassen?«, bot Ripeka ihr an, die keine Gelegenheit versäumte, sich um das Kind zu kümmern.
»Nein, ich nehme Emily mit...« Emily? Maggy verstummte vor Schreck über ihre eigenen Worte. »Ich weiß ... ich weiß noch nicht, wie sie... ich meine, wie ich sie nennen soll, und da dachte ich ... wegen der Locken«, stammelte Maggy verlegen.
»Wieso, Emily ist doch ein schöner Name«, beeilte sich Bella mit einem prüfenden Seitenblick auf Ripeka zu sagen. In der Hoffnung, diese werde sich endlich einmal verraten, was den Vater des Kindes anging, doch die Maori verzog keine Miene. Bella ahnte zwar längst, wer Maggy das Unaussprechliche angetan hatte, und hatte auch schon mehrfach versucht, die Wahrheit aus Ripeka herauszubekommen, doch vergeblich. Die Maori schwieg wie ein Grab. Bei der Ahnung, die Bella bezüglich des Kindsvaters hatte, fand sie den Namen Emily für das Baby in Wahrheit allerdings mehr als geschmacklos. Wenn sie allein daran dachte, wie sich diese feine Emily Carrington ihrer schwangeren Ziehtochter entledigt hatte, geriet sie außer sich vor Zorn. Sollte Maggy diesen Namen für ihr Kind ernsthaft in Erwägung ziehen, dann sähe sie sich gezwungen, ihn ihr auszureden.
»Ich nehme die Kleine mit«, sagte Maggy nun mit fester Stimme und war mit ihrer Tochter auf dem Arm bereits bei der Tür.
»Aber halt dich von den Flüchtlingen aus Kororareka fern!«, ermahnte Bella sie.
»Warum denn? Vielleicht wissen sie etwas über den Verbleib meiner Eltern und Matthews«, erwiderte Maggy eine Spur zu trotzig. Sie fühlte sich von Bella durchschaut, denn sie hatte tatsächlich vor, auf direktem Weg zur Schule zu gehen und die Flüchtlinge auszufragen.
»Es grassiert eine ansteckende Krankheit unter den Leuten. Da kannst du mit deinem Kind nicht hingehen«, ergänzte Ripeka rasch und fing einen bewundernden Blick der Lehrerin auf.
Maggy stöhnte auf. »Gut, dann mache ich einen Bogen um die Schule und wandere ein wenig in der Gegend herum.«
Das Kind auf ihrem Arm war jetzt ganz ruhig und blickte mit offenen Augen in die Welt. Es hat die schönsten braunen Augen, die ich jemals gesehen habe, ging es Maggy zärtlich durch den Kopf, doch dann fiel ihr ein, von wem sie diese Augen geerbt hatte: Sie waren das Einzige, was dieses Kind von ihr, der Mutter, mitbekommen hatte. Der Anblick rührte sie. Es verlieh dem hellhäutigen Puppengesicht mit den rotblonden Locken etwas ganz Besonderes. Aber es änderte nichts daran, dass man sie immer für ein
Weitere Kostenlose Bücher