Der Schwur des Maori-Mädchens
Er stand da wie ein Rächer. Sein Blick verhieß nichts Gutes. Schweigend standen sie einander gegenüber. Maggy fröstelte. Nichts an Walter Carrington erinnerte sie noch an ihren geliebten Vater.
»Hat Mutter dir nichts von meinem Kind erzählt?«, fragte sie schließlich.
»Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht Mutter nennen«, erwiderte er in schneidend scharfem Ton.
Maggy wunderte sich, dass ihr angesichts seiner grausamen Worte nicht die Tränen kamen.
»Hat sie dir nicht erzählt, dass mich ...« Sie unterbrach sich hastig. »Ich habe geschworen, es keiner Menschenseele zu verraten, und nun ist sie tot.« Bei dem Gedanken, dass sie vielleicht sogar schuld daran sein könnte, wurden ihre Augen feucht.
»Wo ist es?«
Maggy kämpfte mit den Tränen.
»Wo ist dein Kind?«
»In meinem Zimmer.«
»Hol es her!«
Maggy zögerte einen Augenblick lang, doch dann tat sie, was er verlangte, aber sie stellte das Flachskörbchen nicht ab, sondern hielt es fest umklammert. Das hinderte Walter nicht daran, die Decke beiseitezuschieben und das schlafende Kind zu betrachten.
Maggy war vor Schreck wie versteinert, vor allem als sie ihn mit völlig veränderter Stimme »Emily, Emily« hauchen hörte.
Dann wandte er den Blick wieder Maggy zu. »Du bist nicht meine Tochter. Nicht mehr! Dein Bruder und seine Leute haben sie auf dem Gewissen. Sie haben sie erschossen.«
»Matthew hat sie erschossen?«, keuchte Maggy entsetzt.
»Ob er oder ein anderer dieser schwarzen Teufel. Es ist einerlei. Sie haben mir mein Liebstes genommen, und ich werde es mir wiederholen.«
Dabei heftete er den Blick auf das schlafende Kind. Maggy wurde unheimlich zumute.
»Emily«, wiederholte er. »Emily. Du gehörst mir. Ich werde dich mir nehmen.«
Walter Carrington schien wahnsinnig geworden zu sein. Maggy bedauerte es nun zutiefst, dass sie allein mit ihm war.
»Und zwar von dir, denn du ... du bist an all diesem Unglück schuld«, erklärte er mit heiserer Stimme, während er sie aus irren Augen anfunkelte.
Maggy bebte am ganzen Körper. Das Körbchen auf ihren Armen schwankte wie ein Boot bei Sturm von einer Seite auf die andere. Ehe sie sich’s versah, hatte Walter es ihr entrissen.
»Du bist nicht in der Lage, ein Baby zu versorgen«, schnaubte er.
»Bitte, gib es mir zurück! Es gehört mir«, bat Maggy unter Tränen.
»Nein, du hast meine geliebte Frau auf dem Gewissen. Das hast du doch eben selbst zugegeben. Du hast den Schwur gebrochen. Wem hast du davon erzählt?«
Maggy senkte den Blick.
»Ripeka«, erwiderte sie kaum hörbar.
»Emilys Tod ist die Strafe des Herrn, aber er hat nicht dich getroffen, sondern sie und mich. Du bist mir etwas schuldig.«
Maggy hob den Blick. Die Angst hatte sich in Wut verwandelt. »Du kannst mir erzählen, was immer du willst. Der Herr wird es nicht zulassen, dass du mir mein Kind nimmst.« Maggy streckte die Hände aus, um zu bekräftigen, dass er ihr das Körbchen zurückgeben solle, doch er wandte sich brüsk mit dem Baby von ihr ab.
»Ach ja?«, zischte er, während er sich wieder zu ihr umdrehte. »Da bin ich ganz anderer Meinung. Nicht nur der Herr ist auf unserer Seite, auch die weltlichen Mächte sind es.«
»Wie ... wie ... wie meinst du das?«, fragte Maggy, starr vor Angst.
»Wie ich es sage. Das Kind gehört zu uns. Oder muss ich dich daran erinnern, wer sein Vater ist?«
»Aber Henry weiß doch gar nichts davon!«, schrie Maggy verzweifelt.
»Noch nicht, aber wenn ich es ihm sage, dass du sein Kind - und dazu noch ein weißes Mädchen - geboren hast, dann wird er es für sich beanspruchen. Und dreimal darfst du raten, wem sie es geben werden - einem Maori-Mädchen, das selbst noch ein Kind ist, oder einem anständigen Mann und der Tochter eines der einflussreichsten Männer der Northlands?«
Maggy war plötzlich so kalt, dass ihre Zähne unkontrolliert aufeinanderschlugen. »Und wenn ... wenn ich sage, wie es wirklich war?«
Walter lachte hämisch. »Wer soll dir das denn wohl glauben? Nach dem Gesetz bin ich dein Vater, und ich würde beschwören, dass du dich meinem Sohn angedient hast, dass du ein haltloses Wesen bist...«
Maggy hielt sich die Ohren zu, doch sie ahnte, dass sie verloren hatte. Sie hatte nur noch eine einzige Chance. Sie musste seine alten Gefühle für sie wachrufen. Er hatte sie doch einmal von ganzem Herzen geliebt. Das konnte doch alles
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