Der Schwur des Maori-Mädchens
an ihm vorbei.
»Ach, das hat die Mama nicht so gemeint. Siehst du, sie hat nichts dagegen. Du darfst es uns ruhig erzählen. Was war das für ein Mann?«
»Das war der schwarze Mann, dem Mom auf Wiedersehen gesagt hat. Ich habe auf sie gewartet, aber das war so langweilig. Dann habe ich leise die Tür aufgemacht, und Mama hat das nicht gemerkt. Sie hat dem Mann einen Gutenachtkuss gegeben.«
»Einen Gutenachtkuss?«
»Ja, so wie Mama es bei mir immer macht, wenn sie mich ins Bett bringt.«
»Zeigst du es deinem Vater einmal?«
Peter zögerte, doch dann schlang er Edward die Arme um den Hals und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
Das war der Augenblick, in dem Lily aus ihrer Erstarrung erwachte. »Ich habe Doktor Ngata auf Wiedersehen gesagt, bevor er nach Auckland ging«, erklärte sie mit heiserer Stimme.
Mit einem unsanften Ruck setzte Edward seinen Sohn auf dem Boden ab und befahl: »Geh bitte auf dein Zimmer!« Peter aber blieb unschlüssig stehen, doch da setzte sein Großvater nach. »Hörst du nicht, was dein Vater gesagt hat?«
Mit einem lauten Aufschluchzen rannte Peter hinaus. Lily wollte ihm folgen, doch da packte Edward sie grob am Arm. »Du bleibst hier!«
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir auch gehen«, stöhnte Mabel, doch ihr Sohn fuhr ihr über den Mund. »Ihr bleibt!« Dann wandte er sich drohend zu seiner Frau um.
Er wird doch nicht wagen, mich vor seinen Eltern zu schlagen, schoss es Lily noch durch den Kopf, als sie seine Hand bereits auf ihrer Wange spürte, doch es war gar nicht der Schmerz, der sie rot werden ließ, sondern die Scham.
»Das war dafür, dass du unseren Sohn in deine dreckige Affäre hineingezogen hast.«
»Ich hatte keine Affäre«, erwiderte Lily kämpferisch. Sie wusste auch nicht, woher sie den Mut nahm, aber sie dachte nicht daran, zu Kreuze zu kriechen. Sie hätte Tamati nicht küssen dürfen, keine Frage, aber deshalb war sie noch lange keine Verbrecherin, über die diese Leute zu Gericht sitzen durften.
»Sie lügt«, geiferte ihr Schwiegervater. »Ich habe es gleich gewusst, als sie diesen Quacksalber zu Hilfe geholt hat. Sei nur froh, dass deine Eltern nicht miterleben müssen, wie du dich einem Maori an den Hals wirfst. Deine Mutter würde sich im Grab umdrehen.«
»Welche meinst du, Vater? Meine Adoptivmutter June oder meine leibliche Mutter, das Maori-Mädchen, das mein Vater geschwängert hat?«, erwiderte Lily provozierend, obgleich sie nicht an diese Geschichte glaubte. Aber sie wollte es Edward und seinen Eltern heimzahlen.
Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, sie hätte losprusten können. Wie steinerne Statuen standen die drei da und starrten sie mit dem gleichen irren Blick an.
»Du bist geschmacklos«, spuckte Edward schließlich verächtlich aus. »Dass du nicht nur unser Kind, sondern auch noch deine Eltern in den Schmutz ziehst. Die sich nicht mehr wehren können.« Er trat einen Schritt auf sie zu und packte sie am Arm. »Was hat dieser schwarze Teufel, was ich nicht habe? War er ein Tier im Bett?«, zischte er, während er ihr seine Finger schmerzhaft in die Haut grub.
»Ich war nie mit Doktor Ngata im Bett!«
»Ach nein? Und deshalb hast du auch zugelassen, dass er eigenhändig das Kind in deinem Leib dreht, nicht wahr? Und hast du die Hebamme fortgeschickt, um mit ihm allein zu sein? Gib es doch endlich zu!«, brüllte Tomas.
»Ich werde nichts zugeben, nur damit deine schmutzige Fantasie gefüttert wird. Ich habe ihn zum Abschied geküsst. Das ist wahr, und ich kann es nicht mehr rückgängig machen, obwohl es mir sehr leidtut, aber näher bin ich dem Doktor nie gekommen.«
»Lily? Wer hat dir den Unsinn über deine Eltern erzählt?«, mischte sich Mabel ein.
»Das hat sie sich ausgedacht, um uns noch mehr bloßzustellen, als sie es ohnehin schon getan hat.« Ihr Schwiegervater warf ihr einen hasserfüllten Blick zu.
»Ripeka hat es mir auf dem Sterbebett anvertraut. Ich weiß nicht, ob es die Wahrheit ist oder ob sie schon verwirrt war.«
»Es muss wahr sein«, stöhnte Edward. »Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie zu so etwas fähig ist. Keine Pakeha würde sich so tief erniedrigen.«
»Da gibt es nur eines: Verbiete ihr den Unsinn mit der Universität! Gib ihr Hausarrest«, schlug sein Vater vor.
»Nein, ich will sie nicht mehr sehen. Pack deine Sachen, du verdammte Hure!« Edward bebte vor Zorn, als er die Worte aussprach.
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