Der Schwur des Maori-Mädchens
Schwangerschaft geschlagen?«
»Was geht dich das an?«, schrie Mister Füller. »Sie ist meine Frau gewesen, und die kann ich so oft schlagen, wie ich will! Weißt du, wie sie aussah? Wie eine tragende Kuh!«
»Hatten Sie während der Schwangerschaft Ihrer Frau bereits eine Beziehung zu einer anderen Frau?«
»Einspruch, Euer Ehren!«, schrie der Ankläger, aber Mister Füller war bereits aufgesprungen und wollte sich auf William stürzen. »Lass Katarina aus dem Spiel!«, brüllte er, doch da hielten ihn bereits zwei starke Polizisten fest.
»Ich habe keine Fragen mehr«, sagte William, bemüht, sich den Triumph nicht anmerken zu lassen. »Bitte, Mister Owen, Ihr Zeuge.«
»Ich habe auch keine Fragen mehr an ihn«, zischte der Ankläger sichtlich angeschlagen, zumal sich in diesem Augenblick die Reihen der Zuschauer merklich lichteten. Geschlossen verließen die Männer aus Mangawhai den Saal.
Lily fasste neuen Mut. Plötzlich war ihr Kampfgeist wieder da. Ja, sie würde das Studium der Medizin eines Tages mit Bravour absolvieren, um ihre Arbeit fortführen zu dürfen. Schließlich gab es inzwischen auch ein College in Auckland, das Medizin anbot.
Lily war so in ihre Gedanken versponnen, dass sie im ersten Moment von dem Tumult im Saal wenig mitbekam. Erst als Matui in den Gerichtssaal trat, folgte sie dem Geschehen wieder. Ein Raunen ging durch den Saal, als sich der alte Maori in seinem feinen britischen Anzug in den Zeugenstand begab.
William bat ihn zu schildern, was er an jenem Tag in der Praxis erlebt hatte. Das tat Matui in perfektem Englisch und mit ruhiger Stimme. Alles deckte sich mit Lilys Aussagen, doch dann erstarrte sie, als sie Matui sagen hörte: »Lily Ngata ist ein Segen für die Frauen. Sie ist berufen, das Werk ihres Mannes Tamati fortzusetzen.«
Bevor Lily sich überhaupt ausmalen konnte, was diese nett gemeinten Worte auslösen würden, hatte der Ankläger die günstige Gelegenheit ergriffen.
»Ist die von Ihnen hochgelobte Lily Ngata hier im Saal anwesend?«
Lächelnd deutete Matui in Richtung der Angeklagten.
»Diese Frau ist also Lily Ngata?«
»Ja, aber das wissen Sie doch«, erwiderte Matui unwirsch.
»Nein, die Angeklagte ist uns bekannt als Emily Newman. Stimmt es, dass sie, obwohl sie mit einem gewissen Doktor Newman verheiratet war, sich als Ehefrau des Maori-Arztes Tamati Ngata ausgab und mit diesem unter einem Dach lebte?«
»Ich beantrage, diese Frage zu streichen«, verkündete William, der sichtlich um Fassung rang.
»Antrag stattgegeben!«
Lily spürte mehr denn je ihren pochenden Kopfschmerz, der sie seit Tagen wieder in aller Härte heimsuchte. Nun hat es diese Ratte doch geschafft, mich als Maori-Hure zu entlarven, dachte sie, und sie wünschte sich, dass die Geschworenen niemals diesen Einblick in ihr Privatleben gewonnen hätten.
»Keine Fragen mehr an den Zeugen Matui Hone Heke«, erklärte William hastig.
»Ich auch nicht«, pflichtete ihm der Ankläger bei.
Auf die Frage, ob es noch Zeugen gebe, die die Angeklagte belasteten, musste der Ankläger Mister Owen passen. Doch William hatte noch jede Menge Zeugen zu bieten. Zunächst ließ er drei Maori-Frauen schildern, wie Lily ihnen geholfen hatte. Dann rief er den ersten Namen einer Pakeha auf.
Lily befürchtete, sie würde nicht vor Gericht auftreten, obwohl Lily sie einst vor dem sicheren Tod gerettet hatte.
Der Richter wiederholte seinen Aufruf.
»Ich bitte Misses O’Neil in den Zeugenstand.«
Nichts rührte sich, und Lily gab die Hoffnung auf, dass eine der weißen Frauen für sie aussagen würde. Da trat Nora O’Neil, die Frau des Kolonialwarenhändlers, eines der Männer, die eben noch den Zuschauerraum bevölkert hatten, mit gesenktem Kopf auf den Richter zu.
William sagte nur: »Danke, dass Sie gekommen sind«, und überließ dem Ankläger das Wort.
»Sie wollen also behaupten, dass Misses Newman Sie geheilt hat?«
Nora O’Neil blickte dem Ankläger unverwandt in die Augen.
»Doktor Ngata ist nicht nur der Engel der Maori, sondern auch unser Engel. Ich hatte ein Kind, das sich auf die Seite gedreht hatte. Ein Todesurteil, aber sie hat mein Kind und mich gerettet.«
Der Ankläger wischte sich fahrig über die Stirn und murmelte: »Keine Fragen.«
So ging es ihm auch bei den folgenden Zeuginnen, alles Pakeha-Frauen, und zwar jene, die nicht mehr zu ihr gekommen waren, seit Mister Füller seine
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