Der Schwur des Maori-Mädchens
»Versteh ich nicht«, lallte Mister Füller. Ihn hatte das verfahrensrechtliche Geplänkel der Parteien offenbar völlig aus dem Konzept gebracht. Jedenfalls brachte er keinen vernünftigen Satz mehr zustande.
»Sie da hat das Kind tot... sie hat es totgemacht und dann meine Frau, und ich habe sie gerettet.«
William trat nun einen Schritt auf den Zeugen zu und schnupperte: »Mister Füller, kann es sein, dass Sie Alkohol getrunken haben?«
»Das geht dich gar nichts an, du Scheißkerl!«
»Mister Füller, ist Ihnen nicht gut? Brauchen Sie ein wenig frische Luft?«, fragte der Ankläger in scharfem Ton.
Der Farmer sah ihn etwas dümmlich an, doch dann schien er zu begreifen. Er nickte eifrig.
»Ich beantrage eine kleine Unterbrechung«, verkündete der Ankläger und versuchte, nassforsch zu klingen. Dabei konnte er seine Sorge, was die Jury wohl von so einem Zeugen halten mochte, kaum verbergen.
»Antrag stattgegeben, wir machen fünfzehn Minuten Pause.«
»Ich glaube, wir haben gute Karten«, raunte William Brewer Lily zu. »Wenn Sie freigesprochen werden, darf ich Sie dann demnächst einmal in mein Haus in Auckland zu einem Essen einla-den?«
Lily hatte bereits so eine vage Ahnung, dass der Anwalt mehr in ihr sah als eine bloße Mandantin. Sie mochte ihn auch, keine Frage, aber ob sie sich wirklich zu ihm nach Hause würde einladen lassen, das konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht mit Gewissheit sagen. Erst einmal musste dieser Albtraum zu Ende sein.
»Vielleicht, denn ich bin in der nächsten Woche in Auckland, um jemanden zu treffen«, erwiderte sie diplomatisch. An die bevorstehende Begegnung mit Peter konnte Lily nicht denken, ohne dass ihr das Herz bis zum Hals klopfte. Allein die Vorstellung, plötzlich einem jungen Mann gegenüberzustehen, im Wissen, dass er ihr Sohn war ...
»Sie haben einen guten Eindruck gemacht, Misses Ngata, der Richter mag Sie.«
Lily hob die Schultern. »Aber ich glaube, die grimmig dreinschauenden Geschworenen haben mich nicht ganz so in ihr Herz geschlossen.«
»Solange wir der Gegenseite keine Gelegenheit geben, der Jury Ihre privaten Verhältnisse auf die Nase zu binden, sehe ich da nicht so schwarz. Ich werde alles abwürgen, wenn der Ankläger versucht, Ihre Beziehung zu Doktor Ngata auf den Tisch zu bringen sowie die Tatsache, dass Sie all die Jahre auf dem Papier noch mit Mister Newman verheiratet waren.«
Weiter kam er nicht, weil der Prozess mit der Vernehmung des Farmers fortgesetzt wurde. Mister Füller wirkte wie umgewandelt. Lily vermutete, der Ankläger hatte ihm einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf gekippt.
Mister Füller saß kerzengerade da, die Hände gefaltet. Er hatte jetzt eine ernste Miene aufgesetzt.
Doch bevor der Ankläger seine Befragung beginnen konnte, kam ihm William zuvor. In freundlichem Ton fragte er: »Hatten Sie an dem Tag, als es passierte, auch getrunken?«
»Das ist eine Frage, die nichts, aber auch gar nichts mit dem Sachverhalt zu tun hat. Ich beantrage, die Frage zu streichen!«, brüllte der Ankläger.
»Das sehe ich anders. Wenn Mister Füller an jenem Tag betrunken war, so könnte dies einen Einfluss auf seine Wahrnehmungsfähigkeit und sein Verhalten gehabt haben«, entgegnete William scharf.
»Antrag abgelehnt. Bitte, Mister Füller, beantworten Sie die Frage des Verteidigers. Haben Sie an dem Tag, als es geschah, Alkohol getrunken?«
Der Farmer lief knallrot an. Lily glaubte, er würde gleich wieder pöbeln, doch ein warnender Blick des Anklägers hielt ihn ganz offensichtlich davon ab.
»Ja, ich habe vielleicht einen Whisky getrunken oder auch zwei«, murmelte er.
»Was haben Sie gesehen, als Sie in das Behandlungszimmer kamen?«
»Meine Frau lag da in ihrem Kot und schrie erbärmlich.«
»Haben Sie gesehen, dass Misses Newman etwas mit ihr gemacht hat?«
»Nein, nicht direkt, aber das hatte sie ja vorher getan. Und ich hatte meiner Frau verboten, zu dieser ...« Er stockte.
»Mister Füller, stimmt es, dass Sie Ihre Frau wiederholt geschlagen haben? Auch während der Schwangerschaft?«
»Euer Ehren, ich beantrage, diese Frage zu streichen. Sie hat nichts mit dem Sachverhalt zu tun.« Das Gesicht des Anklägers glühte nun feuerrot, und ständig wischte er sich mit einem riesigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Antrag abgelehnt«, erklärte der Richter ungerührt.
»Haben Sie Ihre Frau während der
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