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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
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ihr eifrig die Hand, bevor er sich trollte.
      Als sie Matuis Haus erreicht hatte, zögerte sie, seine Veranda zu betreten, doch da hörte sie seine Stimme bereits leise raunen: »Tamahine, ich habe auf dich gewartet.«
      In diesem Augenblick entdeckte sie ihn in der Dämmerung auf einem Stuhl sitzend. Vorsichtig näherte sie sich. Er deutete lächelnd auf einen Platz neben sich. »Setz dich, mein Kind, und sag mir, was dir auf der Seele brennt. Wer bist du wirklich?«
      Vivian holte tief Luft. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ganz ohne Umschweife auf den Punkt kommen würde. Verlegen fixierte sie die Spitzen ihrer feinen Schuhe, die auf dem Weg durch den Busch ziemlich gelitten hatten.
      »Ich ... ich bin Peter Newmans Tochter«, stammelte sie.
      »Das habe ich mir doch gedacht«, erwiderte er lächelnd.
      »Aber ich kenne diesen Mann nicht. Mehr noch, ich verabscheue ihn. Und er mich. In seinem Haus gibt er mich Dritten gegenüber als eine entfernte Verwandte aus. Und ich darf niemandem die Wahrheit sagen. Aber ich will so einen auch nicht zum Vater, so einen scheinheiligen Kirchenmann, der meine Mutter am Tag meiner Geburt sang- und klanglos verlassen hat. Aber ihr Letzter Wille war, dass ich zu ihm reise ...« Vivian stockte, weil ihr die Tränen kamen, doch als sie die tröstende Hand des Maori auf ihrer Wange spürte, konnte sie sich nicht länger beherrschen. Sie fing hemmungslos zu schluchzen an. Da redete Matui in einem fremden Singsang beschwörend auf sie ein. Sie verstand zwar kein Wort, aber allein die Melodie übte eine beruhigende Wirkung auf sie aus.
      »Er kann nicht zu dir stehen, tamahine. Du wirst bald wissen, warum nicht. Nur so viel: Er ist ein heimatloser, entwurzelter Mensch. Das, was er sein Leben und Wirken nennt, würde Zusammenstürzen wie ein schlecht gebautes Haus bei einem Erdbeben und alles in Schutt und Asche legen. Doch eines Tages wird genau das geschehen. Die Erde wird beben, und er wird wie neugeboren den Trümmern entsteigen.«
      Vivian hatte aufgehört zu weinen und sah den alten Maori irritiert an.
      Er lächelte.
      »Tamahine, lass dich nicht durch meine Worte verunsichern, denn du bist schon längst auf dem richtigen Weg. Aber wo ist dein Bruder?«
      Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis sie begriff, von wem die Rede war.
      Sie hob die Schultern. »Ich denke, er wird Sie morgen aufsuchen«, sagte sie ausweichend, während sie insgeheim hoffte, dass er es nicht tun würde.
      »Gut, dann warten wir auf ihn«, bemerkte Matui. »Damit ich euch die Geschichte eurer Ahnen erzählen kann. Ich muss sie euch gemeinsam weitergeben, denn ihr gehört zusammen.« Er unterbrach sich und fuhr lauernd fort: »Oder etwa nicht?«
      Während er diese Worte sprach, musterte er Vivian durchdringend. Sie erstarrte. Er weiß etwas, durchfuhr es sie eiskalt, er ahnt, dass Fred nicht der Sohn des Bischofs ist, aber dass er der Mann ist, dem ich mein Herz geschenkt habe. Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Wenn er sie nun als Lügnerin enttarnte? Sie musste Matui die Wahrheit sagen und ihn darum bitten, dass er in Zukunft mit ihr allein vorliebnahm. In diesem Augenblick spürte sie, wie eine bleierne Müdigkeit von ihr Besitz ergriff. Morgen würde sie mit ihm sprechen.
      »Könnte ich hier schlafen?«, fragte sie und fügte hastig hinzu: »Ich habe Angst, im Dunkeln zum Hotel zurückzukehren.«
      »Das verstehe ich gut. Komm, Kleine, folge mir ins Haus!«
      Vivian hatte Schwierigkeiten, sich vom Stuhl zu erheben. Ihre Glieder waren schwer wie Blei, doch schließlich stand sie auf, allerdings mit zittrigen Beinen.
      Matui ging vor ihr her ins Haus. Vivian folgte ihm und sah, wie er eine Flachsmatte auf dem Küchenboden ausrollte.
      »Das ist dein Schlafplatz, tamahine, ich wünsche dir gute Träume.«
      Vivian ließ sich auf die Matte sinken und spürte noch, wie Matui sie wärmend in eine Decke einhüllte und leise zu singen begann. Sie wehrte sich zunächst mit aller Kraft dagegen, dass ihr die Augen zufielen, doch schließlich siegte die Erschöpfung.
     
     

Mount Parahaki/Whangarei, Februar 1920
     
    Vivian wusste beim Aufwachen zunächst nicht, wo sie war, doch dann erinnerte sie sich dunkel an den Eklat im Hotelrestaurant, ihre überstürzte Flucht und ihr gestriges Gespräch mit Matui Hone Heke.
      Sie fuhr hoch, rieb sich die Augen und wunderte sich, wie gut sie auf der Flachsmatte geschlafen hatte. Ein wärmender Sonnenstrahl fiel durch das

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