Der Schwur des Maori-Mädchens
warum verheimlichen Sie Ihrem eigenen Boss, dass Sie auf eine heiße Geschichte gestoßen sind? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass das Ansehen des seligen Reverends und damit der Ruf Ihrer Familie einen dunklen Fleck bekommen könnten?«
Ohne Vorwarnung stürzte sich Fred auf seinen Kollegen aus Wanganui und packte ihn am Kragen.
»Ich habe es doch von Anfang gewusst, dass Sie eine miese Ratte sind. Ihnen ist jedes Mittel recht, um an Ihre Geschichte zu kommen. Sie scheuen nicht einmal davor zurück, unschuldigen jungen Frauen den Kopf zu verdrehen.«
Mister Morrison drängte sich fluchend zwischen die beiden Kampfhähne und hielt sie mit ausgestreckten Armen voneinander fern.
»Aufhören! Natürlich kann Mister Schneider solche Mittel einsetzen, um an seine Informationen zu kommen!«, brüllte er, bevor er sich mit scharfer Stimme an Fred wandte. »Aber ich denke, du solltest mir etwas ganz anderes erklären. Wieso hast du uns verschwiegen, dass du heute so lange bei dem Alten gewesen bist? Was du - und da gebe ich Mister Schneider durchaus recht -mit einem Irren, aus dem nichts herauszulocken ist, sicherlich nicht getan hättest.« Dann wandte er sich an Ben. »Und Sie sollten vorsichtig mit Ihren Schlussfolgerungen sein. Ich lege meine Hand für Frederik ins Feuer. Niemals würde er eine Information aus persönlichen Gründen zurückhalten. Das ist eine lächerliche Anschuldigung, junger Mann! Es sei denn, Sie können es beweisen.«
Mister Morrison musterte Ben mit einem stechenden Blick. »Na, wo sind Ihre Beweise?«, hakte er nach.
Als Ben schwieg, lachte er triumphierend. »Sehen Sie, Sie haben keine.«
Vivian sah dem Ganzen fassungslos zu. Ihr tat allein Fred leid. Er hatte offenbar alles versucht, einen Artikel über Hone Hekes Kampf um das Denkmal zu verhindern, während dieser Ben ihr feige hinterhergeschlichen war. Er war der Mann gewesen, der sich in den Hauseingang geflüchtet hatte. Fred hatte recht gehabt. Ben hatte sich nur zu dem einzigen Zweck an sie herangemacht: um sie über Matui auszufragen.
Vivian schüttelte sich bei dem Gedanken, dass sie beinahe auf ihn hereingefallen wäre, bevor sie sich unbemerkt erhob und davoneilte.
Es war immer noch warm draußen, sodass sie sich schließlich erschöpft unter eine der Palmen am Straßenrand setzte. Ihr war völlig gleichgültig, ob ihr Kleid dabei schmutzig wurde. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Ins Hotel würde sie auf keinen Fall zurückkehren, denn mit Sicherheit würde Ben dort auf sie warten. Oder Fred. Oder sogar beide. Nein, sie musste fort. Plötzlich kam ihr ein Gedanke: Was, wenn sie zu Matui Hone Heke flüchtete und ihm gestand, dass sie die Tochter des Bischofs war? Sie war sich sicher, dass er ihr für die Nacht Unterschlupf gewähren würde. Behände sprang sie vom Boden auf und schlug den Weg zum Mount Parahaki ein. Sie fühlte sich erst sicher, als sie sich auf dem Pfad durch den Busch befand. Obwohl sie sehr schnell ging, nahm sie doch wahr, wie sich die Stimmung hier oben verändert hatte. Es war kälter und dunkler geworden. Sie zuckte ein paarmal zusammen, als seltsame Töne aus dem Wald zu ihr herüberschallten. Immer wieder beschleunigte sie den Schritt und sah weder links noch rechts, sondern wartete sehnsüchtig auf den Augenblick, in dem sich linker Hand das Dorf zeigen würde.
Als sie auf dem Gipfel ankam, versank im Westen gerade die Sonne wie ein glühender Ball hinter den Bergen. Einen Augenblick lang blieb sie stehen und betrachtete das Schauspiel mit angehaltenem Atem. Es fiel ihr schwer, sich davon zu lösen, bevor der letzte Strahl verschwunden war. Der Himmel über den Bergen leuchtete immer noch rot, als sie weitereilte. Bis auf den Gesang einer Frau war alles still.
Vor dem Palisadenzaun hielt Vivian noch einmal inne. Durfte sie den alten Mann wirklich unangemeldet überfallen? Wahrscheinlich schlief er längst und würde sich gestört fühlen. Doch nun konnte sie nicht mehr zurück. Niemals würde sie sich im Dunkeln auf den Weg zurück durch den Busch machen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie zögernd durch das Tor in das Innere des Dorfes trat. Aus der Dämmerung sprang plötzlich ein Schatten auf sie zu. Vivian schrie vor Schreck schrill auf, doch dann erkannte sie, dass es ein Hund war. Ein sehr großes Tier mit kurzem Fell.
»Ist ja gut«, sprach sie mit zitternder Stimme auf den Hund ein, doch dann entspannte sie sich. Er leckte
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