Der Schwur des Maori-Mädchens
das hatte sie ihre Verehrer an Bord auch zur Genüge spüren lassen.
Nachdem das Schiff festgemacht hatte, begann ein furchtbares Geschiebe und Gedränge. Weder die Auswanderer noch die Reisenden konnten es erwarten, endlich neuseeländischen Boden zu betreten.
Vivian aber ließ sich bewusst Zeit. Sie trödelte absichtlich, als könne sie die Begegnung mit ihrem Vater auf diese Weise doch noch vermeiden. Als eine der Letzten ging sie die Gangway hinunter. Die Menschenmengen am Pier hatten sich merklich gelichtet. Vivian seufzte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als nach ihrem Vater Ausschau zu halten. Sie erschrak. Wie sollte sie ihn erkennen? Ihre Mutter hatte ja nicht einmal ein Bild von ihm besessen. Und die Beschreibung, dass er groß, blond gelockt und stattlich war, traf auf mehr als die Hälfte der wartenden Männer zu.
Als sie schließlich mit ihrem Gepäck, drei unterschiedlich großen Koffern, an der Pier stand, wollte sie plötzlich jeglicher Mut verlassen. Ihr war zum Heulen zumute. Dagegen half auch kein Blick zurück auf die märchenhafte Bucht, in der das Schiff sie ausgeladen hatte. Sie fühlte sich so verloren und verfluchte ihre Entscheidung, dem Willen ihrer Mutter Folge geleistet zu haben. Wenn ich doch nur bei Jane sein könnte, dachte sie, als sie einen hochgewachsenen blonden Mann auf sich zusteuern sah. Sie stutzte. Das konnte unmöglich ihr Vater sein. Dieser Mann war jung, allerhöchstens Mitte zwanzig.
»Entschuldigen Sie, Sie sind nicht zufällig Vivian Taylor?« Er blickte sie prüfend an und fügte, bevor sie antworten konnte, hastig hinzu: »Nein, sorry, das sind Sie sicher nicht.«
Vivian hielt seinem Blick stand. »Warum sind Sie sich da so sicher?« Sie versuchte freundlich zu klingen, obgleich sie sich maßlos über sein ungläubiges Staunen ärgerte. »Sie zweifeln daran wegen meiner dunklen Haut, nicht wahr?«, fügte sie spitz hinzu.
Der junge Mann war sichtlich verlegen. »Sie haben recht. Man hat Sie mir nicht beschreiben können. Ihr Vater hat Sie wohl zuletzt als Säugling gesehen, wenn ich recht informiert bin. Und er ist nun einmal jemand, der beim ersten Sonnenstrahl einen Hut aufsetzen muss. Sonst bekommt er einen Sonnenbrand. Er ist ausgesprochen blass, würde ich sagen. Das sollten Sie übrigens auch tun, auch wenn Sie einen wesentlich dunkleren Teint als Ihr Vater haben.«
»Was sollte ich tun?«, fragte Vivian angriffslustig. Hatte dieser Kerl nichts Besseres zu tun, als ihr unter die Nase zu reiben, dass sie ihrem Vater so gar nicht ähnlich sah?
»Einen Hut aufsetzen! Die Sonne ist sehr kräftig in diesen Breiten.« Er lächelte sie gewinnend an und reichte ihr die Hand. »Ich bin Frederik, Sie können mich auch Fred nennen. Ihr Vater hat mich geschickt. Er war verhindert. Eine Hochzeit. Das Paar wollte unbedingt vom Bischof höchstpersönlich getraut werden.« Er lächelte immer noch, während er ihr herzlich die Hand schüttelte.
Spitzbübisch, wie Vivian fand, und sie konnte sich nicht helfen, der junge Mann war ihr trotz allem Vorbehalt gegen die neue Heimat sympathisch.
Aber wer in aller Welt war dieser Fred? Auch ein Geistlicher? Und hatte sie ihn gerade richtig verstanden, dass ihr Erzeuger der Bischof von Auckland war? Sie konnte sich gerade noch verkneifen, ihn mit neugierigen Fragen zu überfallen. Er musste ja nicht unbedingt wissen, dass er ihr Interesse erweckt hatte.
Frederik nahm einen ihrer Koffer und hievte ihn auf die Ladefläche eines roten Wagens, einer Art kleinen Lastwagens.
»Nehmen Sie doch schon mal auf dem Beifahrersitz Platz«, schlug er vor und blickte sie aus seinen graugrünen Augen prüfend an. »Oh, verzeihen Sie. Rede ich zu viel? Sie sind ja völlig verstummt. Sie nehmen mir doch hoffentlich nicht übel, dass ich meinte, Sie könnten nicht Vivian sein.« Er lächelte entschuldigend.
Vivian erwiderte sein Lächeln. »Nein, so schnell verschlägt es mir nicht die Sprache. Was meinen Sie, was ich mir in meinem Leben schon alles anhören musste. Na, zu lange in der Sonne gebraten? War dein Vater Indianer? Wissen Sie, dass mich Ihre Exotik schier verrückt macht? Wenn ich jedes Mal beleidigt wäre, ich hätte viel zu tun. Und was meinen Sie, was ich früher alles angestellt habe, um blasser zu werden. Ich bin nicht in die Sonne gegangen, habe mich mit Talg eingeschmiert, mich abgeschrubbt, bis mir die Haut in Fetzen hing...«
»... um Himmels willen, nicht doch! Sie sind
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