Der Schwur des Maori-Mädchens
schließlich verdrängen oder uns mit ihren Krankheiten töten und schließlich gänzlich ausrotten. Verstehst du? Sie betrachten es als ihr Land. Und das will der Herr da oben ganz bestimmt nicht.«
Matthew atmete ein paarmal tief ein und aus. Jedes Wort des stolzen Häuptlings sprach ihm, ob er es wollte oder nicht, tief aus dem Herzen. Und es stimmte nicht, was ihm sein Ziehvater einzureden versuchte. Hone Heke wollte keinen Krieg. Er hatte nichts gegen die Missionare. Im Gegenteil, er kämpfte nur gegen die Ungerechtigkeit, die die Briten in den letzten fünf Jahren über ihr Land gebracht hatten. Sie breiteten sich auf ihre Kosten aus. Und eines Tages würde ihnen das Land der Ahnen ganz gehören.
Matthew traten Tränen in die Augen. Die Worte des Häuptlings hatten ihn bis in sein Innerstes berührt, und er wusste, dass er auf der falschen Seite stand, war er doch selbst der Sohn eines stolzen Häuptlings ...
»Komm morgen Abend zum Flaggenmast!«, sagte Hone Heke im Hinausgehen in strengem Ton und ließ dabei keinen Zweifel aufkommen, dass er einen Befehl und keine Bitte aussprach.
Matthew blieb am ganzen Körper zitternd zurück. In seinem Kopf drehte sich alles. Was sollte er tun? Sein Herz sehnte sich unweigerlich nach dem Berg dort drüben, während sein Kopf ihn mit aller Macht von einer weiteren Dummheit abzuhalten versuchte.
Matthew stöhnte laut auf und versuchte seine Arbeit fortzusetzen, als wäre nichts geschehen, aber in ihm tobte ein Vulkan. Als er die verschmierten und unleserlichen Buchstaben auf dem Papier erblickte, wusste er, dass er nicht mehr Weiterarbeiten konnte. Hier ging es um mehr. Er musste eine Entscheidung treffen!
Ich werde zum Fahnenmast gehen, aber nichts tun, um Hone Hekes Rebellion tatkräftig zu unterstützen, entschied er, nachdem er hin und her überlegt hatte. Dieses Mal werde ich keine Axt zur Hand nehmen.
Entschlossen säuberte Matthew das Handwerkszeug und verließ die Werkstatt. Er würde ohnehin nichts Vernünftiges mehr zustande bringen, sodass er sich besser auf den Heimweg machte.
Da sein Ziehvater wusste, dass die katholische Mission und die Druckwerkstatt immer wieder Materialien austauschten, hätte Matthew dieses Mal einen triftigen Grund, nach Russell hinüberzurudern. Und doch war ihm flau im Magen bei dem Gedanken, seine Zieheltern noch einmal zu hintergehen. Hatte der Herr ihn nicht vor dem Tod bewahrt, damit er fortan ein gottes-fürchtiges Leben führen sollte?
Vor dem Haus kam ihm seine Mutter entgegen. Sie wirkte geradezu ausgelassen und plapperte sofort drauflos. »Ich muss für die Hochzeit noch so viel erledigen. Stell dir vor, ihre Eltern sind damit einverstanden, dass sie in unserer Kirche heiraten, weil Vater sie trauen wird. Kannst du dabei helfen, das Wohnzimmer auszuräumen, damit die vielen Menschen Platz haben? Ja?« Ohne eine Antwort abzuwarten, umarmte sie ihn stürmisch und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie weitereilte.
Die morgige Hochzeit, die hatte er völlig vergessen, aber nun kam sie ihm sogar gelegen. Sie nahm ihm eine Entscheidung ab. Er wollte ja hinüber zum Fahnenmast, aber er konnte nicht. Wie sollte er sich von der Feier fortschleichen? Und überhaupt, durfte er die gute Frau, die ihn, seitdem er auf Leben und Tod daniedergelegen hatte, mit ihrer Liebe geradezu überschüttete, so bitter enttäuschen? Nein, das kann ich nicht, dachte er. Er spürte beinahe so etwas wie Erleichterung, dass ihm die Ereignisse im Hause Carrington aus seinem Zwiespalt geholfen hatten. Hone Heke wird es mir nicht übelnehmen, versuchte er sich zu beruhigen, während er das Haus betrat. Im Flur begegnete ihm seine Schwester, und bei ihrem Anblick meldete sich erneut sein schlechtes Gewissen. Um sie hatte er sich in letzter Zeit so gut wie gar nicht mehr gekümmert. Sie sieht schlecht aus und hat über die Maßen zugenommen, stellte er besorgt fest. Ich sollte ihr wieder mehr Aufmerksamkeit widmen. Später, beschloss er, denn in diesem Augenblick hatte er weder Zeit noch Lust, sich mit Frauenangelegenheiten zu befassen.
»Matthew, ich muss mit dir sprechen. Wollen wir nachher zusammen zur Bucht gehen?«, fragte sie und sah ihn dabei bittend an.
Er musterte sie noch einmal durchdringend von Kopf bis Fuß. Was war nur mit seiner Schwester geschehen? Sie war deutlich dicker geworden. Das missfiel ihm. Er war so stolz darauf, dass Maggy keine dieser ausladenden Maori-Frauen war, sondern ein zartes,
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