Der Schwur des Maori-Mädchens
etwa ...?« Emily stockte. Allein es auszusprechen war ihr zuwider.
Tränen schossen dem Maori-Mädchen in die Augen, aber es schwieg weiter standhaft.
»Maggy, sprich ...!«
Maggy biss sich auf die Lippen, um ihr Schluchzen zu unterdrücken, doch dann brach es aus ihr heraus, und sie fiel ihrer Ziehmutter weinend um den Hals.
Emily aber befreite sich unsanft aus dieser Umklammerung und schrie das Mädchen wie von Sinnen an. »Du bist gerade erst sechzehn! Du bist ein Kind! Und wie oft habe ich dir gesagt, dass du dich in Acht nehmen sollst vor diesen schwarzen Bastarden aus der Maori-Schule. Aber du bist ein haltloses Wesen. Das enttäuscht mich zutiefst, und der Herr wird es dir niemals verzeihen! Habe ich dir nicht gepredigt, dass er dich dann mit einem vaterlosen Kind strafen wird?«
Maggy schluchzte herzzerreißend auf. »Aber ich habe dir doch gleich gesagt, dass er mir unbeschreiblich wehgetan hat«, stammelte sie unter Tränen.
Emily wurde kalkweiß, denn es brach mit Macht jene Angst auf, die sie seit Monaten erfolgreich hatte verdrängen können. Wie oft war sie schweißgebadet aufgewacht und hatte den Herrn angefleht, dass Henrys Verbrechen an dem Mädchen folgenlos bleiben möge. »O nein, das darf nicht... nein, hab Erbarmen, o Herr ...« Wie von Sinnen hob sie die Hände gen Himmel und stammelte: »Ich habe es nicht verdient, o Herr, dass du mich so strafst, war ich nicht immer ...«
Sie hielt verstört inne, als sie Maggys fassungslosen Blick wahrnahm. Und ehe sie sich’s versah, hatte sie ihre Ziehtochter bei den Schultern gepackt und brüllte wie eine Furie: »Nein, nein und noch einmal nein, das geht nicht, das kann nicht sein!«, während sie die zu Tode erschrockene Maggy wie eine Strohpuppe hin und her schüttelte.
Maggy war starr vor Angst, doch Emily hörte nicht auf. Sie schrie und zeterte, bis die Tür aufgerissen wurde und Henry den Kopf hereinstreckte. Er blickte verblüfft von Maggy zu seiner Mutter. »Was ist denn hier los? Mutter, was brüllst du denn an diesem Tag bloß so? Wenn nicht alles perfekt wird - keiner reißt dir den Kopf ab. Deshalb musst du die arme Maggy doch nicht ausschimpfen.«
»Kümmere dich um deinen Anzug, und lass uns noch einen Augenblick in Ruhe«, schnaubte Emily mit letzter Kraft. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihm an den Kopf geworfen, was er angerichtet hatte, doch sie konnte sich gerade noch beherrschen. Stattdessen schnaufte sie wie ein altes Walross.
Henry aber wandte den Blick voller Sorge Maggy zu. »Kleine, was ist denn mit dir? Du siehst ja scheußlich aus. Ich hoffe, zum Fest geht es dir besser.«
»Sie hat eine Magenverstimmung, wenn du es genau wissen willst. Also raus mit dir!«, fauchte Emily.
Henry schnalzte laut mit der Zunge. »Mutter, Mutter, wie redest du nur mit dem Bräutigam?« Dann rief er Maggy »Gute Besserung!« zu und verließ fröhlich pfeifend das Zimmer.
»Er kann sie nicht heiraten«, schluchzte Maggy leise.
»Was redest du da für einen Unsinn? Warum kann Henry sie nicht heiraten?«
Emily wusste genau, was ihre Ziehtochter damit auszudrücken versuchte, aber sie wollte verhindern, dass sie es auch noch offen aussprach.
»Rede keinen Blödsinn!«, wiederholte sie in scharfem Ton.
Maggy aber hörte abrupt zu weinen auf und verkündete mit fester klarer Stimme: »Aber es ist doch sein Kind! Er muss mich heiraten!«
Emilys Antwort war eine schallende Ohrfeige, was sie umgehend bereute. »O weh, was habe ich getan? Verzeih mir, kleine Maggy«, jammerte sie, aber ihre Ziehtochter presste empört hervor: »Deine Schläge werden mich nicht dazu treiben, das achte Gebot zu brechen. Ich spreche die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Es war im Mai, als er eines Nachts in mein Zimmer kam. Und ich war überglücklich, denn ich liebe Henry von Kindesbeinen an. Ich habe gesündigt, denn mir schmeckten seine Küsse, doch dann hat er...« Ihre Stimme brach ab, und sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.
»Schweig!«, keuchte Emily. Doch die Maori fuhr heiser fort: »... dann hat er nicht hören wollen, als ich ihm sagte, das sei Sünde, und dann hat er mir furchtbar wehgetan. Und nun bekomme ich sein Kind, und deshalb darf er June Hobsen nicht heiraten.«
»Er wird June Hobsen heute zur Frau nehmen und keine andere«, erwiderte Emily mit kalter Stimme. »Und du wirst heute im Bett bleiben und dich nicht sehen lassen. Ich werde allen sagen, dass
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