Der Schwur des Maori-Mädchens
diesen Worten eine große Erleichterung. Sie tat ihm leid, aber er hatte schon befürchtet, sie sei dem Tod geweiht.
Er umarmte sie und drückte sie fest an sich. »Ach, meine Kleine, es tut mir so leid, dass ich gestern keine Zeit mehr für dich hatte.« Er ließ sie los und blickte sie fragend an. »Was wolltest du mir eigentlich erzählen?«
»Ich ... ich weiß gar nicht mehr ... Nichts Besonderes«, entgegnete sie hastig.
»Das glaube ich dir nicht. Komm, du hast doch etwas auf dem Herzen. Hattest du Streit mit Mutter? Sie ist nämlich eben richtiggehend wütend geworden, weil ich nach dir sehen wollte.«
Maggy konnte seinem Blick nicht standhalten. Sie schloss die Augen. Ihr war, als hätte sie keinen Menschen mehr auf dieser Welt, außer dem Wesen, das in ihr heranwuchs und das keiner wollte. Am allerwenigsten sie. Die schreiende Ungerechtigkeit darüber, dass sie leiden musste, während der Übeltäter fröhlich Hochzeit feierte, schnürte ihr die Kehle zu.
Wie von ferne hörte sie ihren Bruder seufzen: »Maggy, ich bin dein Bruder. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander. Glaubst du, ich sehe nicht, wie du gegen die Tränen ankämpfst? Du musst sie doch vor mir nicht verstecken.«
Matthews warmherzige Worte ließen sie laut aufschluchzen. Sie öffnete die Augen.
»Sag mal, der Grund deiner Traurigkeit heißt doch nicht etwa Henry, oder?«, fragte er nun wie aus heiterem Himmel.
Maggy zuckte erschrocken zusammen. Ahnte er etwas? Ach, wie gern hätte sie laut hinausgeschrien, was Henry ihr angetan hatte, aber sie hatte auf die Bibel geschworen, kein Sterbenswort zu verraten. Und der Herr würde sie und ihre Lieben strafen, wenn sie ihren Schwur brach.
Sie fixierte ihre Bettdecke. »Ja«, hauchte sie verschämt. »Ich bin traurig, dass er eine andere heiratet...«
»Eine andere? Wie meinst du das?«
»Matty, ich liebe ihn, aber nicht wie eine Schwester ...« Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Es war ein schmaler Grat, den sie da betreten hatte. Das war ihr sehr wohl bewusst, aber hatte sie eine andere Wahl? Wenn er nicht hinter die Wahrheit kommen durfte, musste sie ihrem Bruder das verliebte Mädchen Vorspielen, das am Hochzeitstag ihres Schwarms um die verlorene Liebe trauerte. Und das war gar nicht so einfach, denn dort, wo sie vorher ihre Liebe zu Henry empfunden hatte, wuchs nun Verachtung für ihn. Nein, Liebe war es mit Sicherheit nicht mehr. Doch sie empfand auch keinen Hass, denn solche Gefühle durfte sie als Christenmädchen nicht hegen. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Wie oft hatte sie Gott in den letzten Stunden gefragt, wie er das hatte zulassen können. Dass Henry unbeschwert Hochzeit feierte, während sie ... Aber den Wunsch, in diesem Augenblick an June Hobsens Stelle zu sein, den hegte sie auch nicht. Nicht mehr, nach allem, was er ihr angetan hatte.
Matthew sah sie ungläubig an.
»Du hast doch nicht etwa geglaubt, dieser Windhund würde dich heiraten?«
»Ich habe es tief in mir gehofft, aber ich wusste doch, dass das nicht sein darf, und deshalb ahnt er nichts von meinen Gefühlen.«
»Das sind dumme Gefühle«, schnauzte Matthew. »Er ist ein oberflächlicher und fauler Pakeha, und du wirst einmal den Sohn eines Häuptlings heiraten. Bedenke doch, wer du bist! Du bist eine Maori-Prinzessin.«
Maggys Tränen versiegten auf der Stelle. »Nein, Matthew, ich bin das, was mir Mutter und Vater an Güte entgegengebracht haben. Ich gehöre zu ihnen.«
»Was redest du für einen Unsinn? Du bist Prinzessin Makere. Unser Vater war ein mächtiger Häuptling und der höchste seines Stammes...«
»Nenn mich nicht Makere!«, schnaubte Maggy zurück.
»Da kann ich Henry ja nur dankbar sein, dass deine Schwärmerei nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist.«
Maggy erstarrte. Wenn er bloß wüsste, wie er in diesem Augenblick irrt, dachte sie.
»Ich möchte allein sein«, bat sie leise und fügte bissig hinzu: »Dann such du nur einen Prinzen für mich. Wenn du ihn gefunden hast, kannst du ihn ja den Eltern vorstellen.«
Matthew erhob sich wütend, doch dann blieb er unschlüssig stehen.
»Entschuldige, Kleine, ich wollte dich nicht verletzen, aber ich kann es nur schwer ertragen, dass du dein Herz ausgerechnet einem dermaßen ungebildeten Pakeha schenkst.«
»Ich werde darüber hinwegkommen«, entgegnete Maggy versöhnlich. »Aber nun geh. Sie werden dich auf dem Fest vermissen.«
Matthew aber beugte
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