Der Schwur des Maori-Mädchens
sein. Sie hatte noch etwas ungleich Schwierigeres zu bewältigen. Was würde Maggy sagen, wenn man von ihr verlangte, das Elternhaus dermaßen überstürzt zu verlassen? Emily konnte nur beten, dass sich das ansonsten so fügsame Kind ihrem, Emilys, Willen auch dieses Mal nicht widersetzte.
Mit klopfendem Herzen eilte sie die Treppen hinauf.
Maggy wandte nicht einmal den Kopf, als Emily, ohne vorher anzuklopfen, in ihr Zimmer stürmte.
»Ich muss mit dir reden«, japste Emily völlig außer Atem und ließ sich auf das Bett fallen. »Ich habe eine vorübergehende Lösung für unser Problem.« Sie legte eine kleine Pause ein und fügte unwirsch hinzu: »Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?«
Maggy aber reagierte gar nicht, sondern stierte weiter unbewegt zur Decke hinauf.
»Ob du mit mir sprechen willst oder nicht, du wirst dich jetzt anziehen und mit Ripeka und Bella Morton zur Te-Waimate-Mission fahren.«
Maggy erwachte aus ihrer Erstarrung und murmelte: »Ich werde nirgendwohin fahren.«
»Du musst, mein Kind. Sonst werden bald alle mit dem Finger auf dich zeigen, weil dann jeder sehen kann, dass du ein Kind erwartest...« Emily sprang auf, kroch unter das Bett und zog einen verstaubten Reisekoffer hervor. »Nun beeil dich schon!«, befahl sie, während sie Maggys Kleider, die sorgsam über einer Stuhllehne hingen, zusammenraffte und ihrer Ziehtochter hinwarf.
Als sie sah, dass das verstörte Mädchen noch immer keine Anstalten machte, aufzustehen, zog sie ihr die Bettdecke weg und herrschte sie an: »Wir haben nicht viel Zeit!«
Daraufhin erhob sich Maggy stumm. Sie zitterte am ganzen Körper. In ihren Augen war die nackte Angst zu lesen.
Emily schluckte trocken, als sie das schöne Kind, das durch seine Schwangerschaft unübersehbar zu einer jungen Frau erblüht war, so entsetzlich leiden sah. Sie konnte nicht anders, als Maggy in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken.
»Keine Sorge, dir wird es gut gehen in Te Waimate, und schließlich ist Ripeka bei dir. Glaub mir, es ist auch für mich kein Vergnügen, dich ziehen zu lassen. Ich habe dich doch so lieb, als wärst du mein eigenes Kind. Aber was soll ich denn tun? Versteh doch bitte, dass ich keine andere Wahl habe, als dich fortzuschicken.«
»Schon gut, Mutter«, flüsterte Maggy heiser und befreite sich sanft, aber bestimmt aus der Umarmung.
Bevor Emily die weiteren Habseligkeiten ihrer Ziehtochter zusammenpackte, blieb ihr Blick noch einmal an Maggy hängen, die sich jetzt widerstandslos in ihr Schicksal fügte und eilig ankleidete.
Sie ist wunderschön, durchfuhr es Emily. Und eigentlich steht es ihr ganz gut, dass sie ein wenig zugenommen hat. Ob ihr Kind auch so hübsch wird? Seufzend stellte sie sich ein Kind von Margaret und Henry vor, doch dann erstarrte sie. Zum ersten Mal seit heute Morgen wurde ihr bewusst, dass dieses Wesen, das da in Margarets Leib heranwuchs, ihr eigenes Enkelkind war. Sie wurde bleich und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Mutter, was hast du?«, fragte Maggy ängstlich. Sie war jetzt wieder ganz die Alte, die sich stets mehr um das Wohl anderer Menschen sorgte als um ihr eigenes.
»Mir ist nur ein wenig flau«, erwiderte Emily, während sie ein ungeheuerlicher Gedanke durchzuckte. Wäre es nicht das Allerbeste, das arme Würmchen, wenn es denn auf der Welt war, June und Henry zu geben? Doch sie verwarf diesen Gedanken in demselben Augenblick schon wieder. Wie sollte Henry June je von diesem Kind erzählen können, ohne dass herauskam, welch ungeheuren Verbrechens er sich schuldig gemacht hatte? Da war es schon besser, dass nicht einmal er jemals von der Existenz seines Kindes erfuhr.
»Mutter, ich bin fertig. Wir können gehen.«
»Ja, gut«, erwiderte Emily geistesabwesend und erhob sich mechanisch. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf wild durcheinander. Was, wenn sie das Neugeborene an sich nahm, es als Waise ausgab und June vorschlug, das elternlose Geschöpf als eigenes Kind anzunehmen? Hatte ihre Schwiegertochter nicht kürzlich erst angedeutet, sie werde sich bald nach der Heirat in einem Waisenheim in Auckland umsehen? Aber würde June Hobsen auch ein Mischlingskind an Kindes statt aufnehmen?
Emily stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Mutter, ich möchte jetzt gehen.«
Mit diesen gefasst wirkenden Worten riss Maggy Emily aus ihrer quälerischen Grübelei. Emily wollte schier das Herz brechen, als sie nun beobachtete, wie
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