Der Schwur des Maori-Mädchens
Margaret mit ernster Miene ihre Bibel in dem Koffer verstaute. O Gott, wie würde sie dieses Kind vermissen! Aber hatte sie als Mutter des Übeltäters überhaupt eine andere Wahl? Nein, ihr eigenes Fleisch und Blut stand ihr näher als das Maori-Mädchen. Und außerdem hielt sie Margaret für stark genug, damit fertig zu werden, während sie skeptisch war, was aus dem labilen Henry werden würde, wenn sich die Hobsens von ihm abwandten. Was, und dessen war sich Emily sicher, geschehen würde, falls sie jemals die Wahrheit erfuhren.
»Gib mir den Koffer!«, murmelte sie, nahm ihrer Ziehtochter das Gepäckstück aus der Hand und eilte voran zur Straße. Sie atmete erleichtert auf, als das Haus endlich außer Sicht war. Sie hatte unterwegs keine Menschenseele getroffen, doch plötzlich, als sie bereits kurz vor der wartenden Kutsche angelangt waren, blieb Maggy abrupt stehen.
»Ich muss mich von Matthew verabschieden!«
Emily wurde blass. »Aber das geht nicht, das kannst du nicht. Er ist auf dem Fest...«
»Aber er wird es mir nie verzeihen, wenn ich Paihia verlasse, ohne ihm Bescheid zu sagen. Wir haben uns geschworen, einander niemals zu verlassen«, protestierte Maggy verzweifelt.
»Kind, du kannst dich nicht von ihm verabschieden. Du darfst ihn erst Wiedersehen, nachdem du dein Kind bekommen hast und wir es gut in einem Waisenheim untergebracht haben.«
»Mutter!«, rief Maggy empört aus. »Was redest du da für einen Unsinn? Waisenheim? Wenn du glaubst, ich sei zu so etwas fähig, irrst du dich gewaltig. Dann bleibe ich hier und bekomme mein Kind, damit es mir keiner heimlich wegnehmen kann. Nein, niemals werde ich mich derart versündigen.«
»Das hast du doch bereits getan, dich versündigt! Und du wirst dich gleich noch einmal versündigen, wenn du nicht tust, was ich dir sage. Wenn du dich von deinem Bruder verabschiedest, dann kannst du ihm gleich sagen, was los ist. Und wenn du das machst, dann, ja, dann brichst du deinen Schwur, den du auf die Bibel abgelegt hast. Du wolltest es keinem Menschen je verraten!« Emily fuchtelte drohend mit dem Finger vor dem Gesicht des Mädchens herum.
Maggy kämpfte mit den Tränen.
»Aber ich werde es nicht weggeben. Das schwöre ich dir!«, brach es schließlich entschlossen aus ihr heraus, und sie eilte so schnell zur Kutsche, dass Emily ihr kaum folgen konnte.
Bella Morton, Ripeka und die halbwüchsigen Maori warteten schon ungeduldig auf sie. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Kutsche als einfaches Pferdefuhrwerk, aber Maggy war es gleichgültig, in welches Gefährt sie einstieg. Widerstandslos ließ sie sich von einem der Jungen auf den Wagen helfen.
»Aber willst du mir denn gar keinen Abschiedskuss geben?«, fragte Emily verstört, doch da mahnte Bella Morton Maggy bereits zur Eile.
»Wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit bei der Missionsstation ankommen wollen, müssen wir uns sputen. Also, wenn du dich noch von deiner Mutter verabschieden möchtest, dann schnell.«
»Lassen Sie uns fahren«, entgegnete Maggy mit ernster Stimme, ohne Emily noch eines Blickes zu würdigen. Sie wusste, dass ihre Ziehmutter ebenso unter dem Abschied litt wie sie selbst, aber sie konnte sie jetzt beim besten Willen nicht ansehen. Die Frau, die sie einst wie eine Mutter geliebt hatte, war zu einer Fremden geworden. Einer gefährlichen Fremden, die nicht einmal davor zurückschrecken würde, ihr dieses Kind fortzunehmen. Zum ersten Mal, seit Maggy von ihrem Zustand wusste, dachte sie voller Zärtlichkeit an das kleine Wesen, das in ihrem Körper heranwuchs. Und sie liebte das Kind mit solcher Heftigkeit, dass ihr schwindelig wurde. Es gehört mir, dachte sie entschlossen, und kein Mensch wird es mir je stehlen! In diesem Augenblick wusste sie, dass sie niemals mehr nach Paihia zurückkehren würde, denn sobald sie die Gelegenheit dazu hatte, würde sie aus Te Waimate fortlaufen. Weit fort. So weit fort, dass Emily sie dort niemals finden würde.
»Maggy, bitte, sieh mich an!«, bettelte Emily, aber die ließ sich nicht erweichen, sondern starrte in die entgegengesetzte Richtung und betete stumm, Matthew möge ihr verzeihen, dass sie ohne ein Wort des Abschieds fortgegangen war.
Als der Wagen sich in Bewegung setzte, fühlte sie, wie sich behutsam ein Arm um ihre Schultern legte. Maggy ließ es geschehen, vergrub ihr Gesicht an Ripekas mütterlicher Brust und fing hemmungslos an zu schluchzen.
Paihia, am gleichen
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