Der Schwur des Maori-Mädchens
Sie haben doch Ihre Helfer. Können die nicht mal Ihre Arbeit mitmachen, Bella?«, fragte Emily. Dieser Name ging ihr nicht leicht über die Lippen, weil die Lehrerin alles andere als eine Schönheit war. Sie war knochig, mit einer weißen empfindlichen Haut geschlagen und hatte ein faltiges Gesicht, aus dem ihre großen grauen Augen unvorteilhaft hervorstachen. Böse Zungen nannten sie eine alte Vogelscheuche, aber nur hinter ihrem Rücken, denn jedermann fürchtete ihr loses Mundwerk.
Wieder stöhnte Bella Morton auf. »Von wegen Hilfe.«
Emily wunderte sich sehr darüber. So leidend wie an diesem Tag hatte sie die ansonsten eher kernige Lehrerin aus Te Waimate noch nie erlebt.
»Und warum hilft Ihnen keiner?«, hakte Emily nach.
»Ach, das ist eine dumme Geschichte. Mein Mädchen, das mir im Haus, und der Junge, der mir im Garten zur Hand gegangen ist, die beiden haben sich bei Nacht und Nebel fortgestohlen. Er ist ein Bewunderer Hone Hekes und will dabei sein, wenn es zu einem Krieg kommt, und zwar auf der richtigen Seite. Jedenfalls auf der, die er für richtig hält.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, versuchte Walter sie zu beruhigen. »Es wird keinen Krieg geben. Jetzt, da die Schiffe zu unserem Schutz gekommen sind.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr, und wissen Sie was? Ich kann diesen Hone Heke sogar ein wenig verstehen. Wie sich die Rotröcke hier in der Bucht wie die Herrscher aufspielen ...«
»Aber Miss Morton, Sie verkennen ...«, begann Walter mit großer Geste, aber ein warnender Blick seiner Frau brachte ihn umgehend zum Schweigen.
»Walter, ich glaube, es ist besser, wenn du dich zu den Gästen begibst. Ich bringe Miss Morton noch zu ihrer Kutsche«, flötete Emily, während ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht huschte.
Er sah sie etwas verwundert an, weil sie ihn fortschickte wie einen ungezogenen Störenfried, doch dann verabschiedete er sich hastig und eilte auf das Fest zurück. Kaum hatte er die Haustür hinter sich zugezogen, da beugte sich Emily vertraulich zu Bella Morton hinüber. »Aber das können Sie unmöglich allein schaffen. Zumal Sie es doch immer so im Rücken haben.«
»Wer sagt denn so was? Unsinn! Aber trotzdem ist es zu viel für eine Frau allein. So schnell kann ich kein Personal anlernen. Und ich kann mich nicht zerteilen. Würde ich ja gern, aber es geht nicht«, brummte Miss Morton.
»Ich hätte da einen Vorschlag zu machen«, säuselte Emily einschmeichelnd.
Die Lehrerin sah die Missionarsfrau fragend an.
»Ich gebe Ihnen meine Tochter mit.«
»Ihre Tochter? Wozu?«, hakte Bella Morton in ihrer unverwechselbar schroffen Art nach.
»Weil sie äußerst geschickt im Haushalt ist. Deshalb! Sie soll Ihnen zur Hand gehen.«
Bella Morton rollte die Augen. »Ich schätze Ihre Tochter wirklich. Sie ist eine bezaubernde Person, aber sie ist es nicht gewohnt, für Dutzende Kinder zu kochen ... die Schule zu putzen ...«
»Bitte, nehmen Sie sie mit nach Te Waimate!«, presste Emily gequält hervor, hakte die Lehrerin unter und zog sie von der Haustür weg in den Garten, um ungestört mit ihr plaudern zu können.
Bella Morton aber hatte angriffslustig die Hände in die Hüften gestemmt. »Misses Carrington, was ist denn in Sie gefahren? Wollen Sie Ihre Tochter loswerden, oder wie darf ich das verstehen?«
»Und wenn ich Ihnen Ripeka ausleihe, bis Sie wieder eine Hilfe gefunden haben?«
»Ripeka ist eine echte Perle. Aber warum sollten Sie auf sie verzichten? Die Sache hat doch einen Haken, nicht wahr?« Miss Morton musterte Emily skeptisch.
»Ich leihe Sie Ihnen aus, wenn Sie dafür auf der Stelle auch Maggy mitnehmen.«
»Was ist denn bloß los mit Ihnen? Ich nehme niemanden mit, bevor Sie mir nicht sagen, was Sie wirklich von mir wollen.«
Emily rang mit sich. Sie kam nicht umhin, der Lehrerin wenigstens die halbe Wahrheit anzuvertrauen. Schließlich würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis diese das Malheur mit eigenen Augen erkennen konnte. Und nicht nur sie, sondern der ganze Ort und ... Emily hatte keine andere Wahl. Sie musste alles auf eine Karte setzen.
»Bella, was ich Ihnen jetzt sage ... also, Sie müssen mir schwören, dass Sie es keiner Menschenseele je verraten ...« Sie hielt inne und atmete schwer, bevor sie fortfuhr. »Maggy ist in anderen Umständen, und wir können sie auf keinen Fall hierbehalten. Die Leute werden reden. Dabei kann das Kind gar nichts dafür ...«
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