Der Schwur des Maori-Mädchens
haben«, protestierte der Soldat.
»Er wollte sich wichtig machen, der kleine Hosenscheißer. Kommt, übergebt ihn mir! Ich werde ihn morgen früh bei seinem Ziehvater abliefern, und dann ist eine Tracht Prügel fällig.«
»Nein, bitte, nehmt mich mit zum Gouverneur!«, flehte Matthew, doch da hatte John Hobsen ihn bereits hart am Arm gepackt. »Der Bengel war neugierig. Deshalb ist er zum Maiki gerudert, aber er hat so wenig mit Hone Heke zu tun wie ihr und ich.«
»Das ist nicht wahr. Ich ...« John Hobsen aber ließ ihn nicht ausreden, sondern hielt ihm den Mund zu. »Wirst du wohl das Maul halten, du schwarzer Bastard?«, zischte er drohend und zerrte Matthew, ohne eine Antwort der Soldaten abzuwarten, mit sich fort.
»Lassen Sie mich los, Sie besoffener Kerl!«, fauchte Matthew, was ihm einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein einbrachte.
»Glaub ja nicht, dass ich das für dich mache, du Nichtsnutz. Es geht mir allein um den Ruf meiner Tochter. Wenn sich überall herumspricht, dass der braunhäutige Ziehbruder ihres Mannes von den Rotröcken abgeführt wurde, ist das dem Leumund meiner Familie nicht eben förderlich.«
»Mir doch egal!«, zischte Matthew, und er fügte wütend hinzu: »Sie haben kein Recht, mich festzuhalten!«
»O doch, denn ich befürchte, dass du nur Unsinn im Kopf hast. Wie kommst du nur dazu, denen zu erzählen, dass du zu Hone Hekes Leuten gehörst?«
Matthew schwieg trotzig. Unsanft trieb John Hobsen ihn auf einem schmalen Pfad durch den dichten Busch vor sich her.
Matthew überlegte krampfhaft, wie er dem Mann entkommen konnte, doch dann beschloss er, sich in sein Schicksal zu fügen. Jedenfalls für heute Nacht. Gegen diesen Bullen von einem Kerl konnte er ohnehin nichts ausrichten. Obwohl er so betrunken ist, habe ich keine Chance, gestand sich Matthew bedauernd ein. Fluchend trieb ihn John Hobsen den Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. Matthew musste aufpassen, dass er nicht stolperte, weil John Hobsen hinter ihm trunken, wie er war, von einer Seite auf die andere taumelte. Als vor ihnen ein breiter Strand auftauchte, gegen den sanfte Wellen plätscherten, ahnte Matthew, wohin der Mann ihn bringen wollte. In sein Haus nach Oneroa.
Da schöpfte Matthew neue Hoffnung. Wenn der besoffene Kerl ihn dort einsperrte, dürfte es doch wohl ein Leichtes sein zu fliehen, während der Mann seinen Rausch ausschlief. Doch John Hobsen nahm Matthew nicht mit in sein Haus, sondern stieß ihn völlig überraschend in einen Verschlag in seinem Garten. Matthew konnte gar nicht so schnell reagieren, da klappte die Tür hinter ihm zu, ein Riegel wurde vorgeschoben, und um ihn herum war nur noch Dunkelheit.
Whangarei, Februar 1920
Vivian warf sich mit voller Wucht auf das Hotelbett. Es machte bedenkliche Geräusche, als würde es gleich durchbrechen. Vivians Atem ging stoßweise. Sie war den ganzen Berg von Matuis Dorf bis zu dem Hotel hinuntergerannt. Nur um kein einziges Wort mit Fred wechseln zu müssen. Matui war während seiner Erzählung wie schon am Tag zuvor immer matter geworden, und zum Schluss waren ihm die Augen zugefallen.
Vivian aber hatte es noch rechtzeitig geschafft, ihn zum Aufstehen zu bewegen, bevor er auf dem Stuhl einschlafen konnte, und hatte ihn danach behutsam zu seinem Schlafplatz geführt. Nachdem der alte Mann ihr das Versprechen abgenommen hatte, am nächsten Tag wiederzukommen, hatte sie sich heimlich fortgeschlichen.
Wahrscheinlich wartet Fred immer noch in der Küche auf mich und denkt, ich singe den alten Maori in den Schlaf, dachte Vivian. Sie erschauderte, als sie an die Geschichte der beiden Ziehkinder des Reverends dachte.
»Ach, Maggy!«, seufzte Vivian, und wieder überkam sie mit aller Macht ein Gedanke, der während Matuis Erzählung immer wieder durch ihren Kopf gekreiselt war. Ob es Maggy war, die ihr, Vivian, dieses exotische Aussehen vererbt hatte?
Ein forderndes Pochen an der Tür riss Vivian aus ihren Gedanken, und sie wusste sofort, wer es war. Zögernd erhob sie sich. Nachdem sie wie ein kleines Kind vor Fred davongerannt war, wäre es mehr als lächerlich gewesen, nun so zu tun, als sei sie nicht zu Hause. Sie strich ihr Kleid glatt, fuhr sich flüchtig durch das Haar und öffnete.
»Was soll das? Warum läufst du vor mir weg, als wäre ich ein Verbrecher?«, fragte Fred unwirsch. Er sah immer noch erschöpft aus mit den dunklen Rändern unter den Augen
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